Detail

Enthält ein Erbvertrag eine Pflichtteilsstrafklausel mit einer aufschiebend bedingten Enterbung, so kann ein Pflichtteilsverlangen auf den Tod des Zuerstversterbenden nur bis zum Tod des Letztversterbenden zum Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge führen

|   Erbrecht

(OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.08.2017 – AZ: 8 W 336/15 – ErbR 2018, 97–99 -)

Sachverhalt
Die beiden in einem Erbscheinverfahren streitenden Beteiligten sind Geschwister. Als erster Elternteil war ihr Vater verstorben, zuletzt verstarb die Mutter. In einem notariellen Erbvertrag hatten die Eltern folgende Regelungen getroffen:

"Wir setzen uns gegenseitig für alle Fälle als Alleinerben ein.

Der Zuerststerbende wendet jedem Abkömmling ein Geldvermächtnis in Höhe des Wertes des gesetzlichen Erbteils unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflicht zu. Das Vermächtnis fällt sofort an, es ist jedoch erst mit dem Tode des Überlebenden zahlungsfällig und bis dahin unverzinslich....               
Verlangt ein Abkömmling auf den Tod des Zuerststerbenden unter Ausschlagung des Vermächtnisses den Pflichtteil, dann ist er und seine Abkömmlinge von der Erbfolge am Überlebenden ausgeschlossen.…"

Der Sohn (Beteiligter zu 1) hatte zunächst die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach er und die Schwester (Beteiligte zu 2) mit einem Erbteil von je 1/2 Erben der zuletzt verstorbenen Mutter geworden seien. Gegen diesen Antrag erhob die Schwester gegenüber dem Nachlassgericht Einwendungen und erklärte, sie stelle "gemäß der Vermächtnisregelung nunmehr den Antrag auf Feststellung und Auszahlung des mir zustehenden Pflichterbteils".

Ihr Bruder bestritt, dass überhaupt Pflichtteilsansprüche aus dem Erbfall des als erster verstorbenen Vaters bestünden und machte geltend, die entsprechende Forderung der Schwester erfülle die im Erbvertrag der Eltern enthaltene Pflichtteilsstrafklausel mit der Folge, dass die Schwester aus der Stellung als Schlusserbin nach dem Tod der Mutter ausgeschlossen sei. Er änderte deshalb seinen Antrag auf Erteilung des Erbscheins dahin gehend ab, dass er durch den Erbschein als Alleinerbe der gemeinsamen Mutter der Beteiligten festgestellt werden solle.

Das Nachlassgericht schloss sich seiner Rechtsauffassung an und erließ einen Beschluss, mit dem die für die Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet wurden dahin gehend, dass der Sohn Alleinerbe der gemeinsamen Mutter der Beteiligten geworden sei. Gegen diesen Beschluss richtete sich die Beschwerde der Schwester.

Begründung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart

Die Beschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts ist die gemeinsame Mutter der Beteiligten im Wege der gesetzlichen Erbfolge von ihren beiden Kindern mit einem Erbteil von je 1/2 beerbt worden. Dies folgt daraus, dass die beiden Kinder entgegen der Auffassung des Sohnes durch den Erbvertrag der Eltern nicht zu Schlusserben eingesetzt wurden. Vielmehr enthält dieser Erbvertrag überhaupt keine Erbeinsetzung für den Todesfall des zuletzt versterbenden Elternteils. Deshalb regelt die im Erbvertrag der Eltern enthaltene Pflichtteilsstrafklausel auch keine auflösende Bedingung einer Erbeinsetzung. Sie regelt vielmehr nur, dass ein Kind, das auf den Tod des zuerst Versterbenden unter Ausschlagung des im Erbvertrag zugewendeten Vermächtnisses in Höhe des Wertes des gesetzlichen Erbteils den Pflichtteil verlangt, von der Erbfolge am Überlebenden ausgeschlossen ist. Es handelt sich deshalb um eine aufschiebend bedingte Enterbung ohne Erbeinsetzung im Sinne von § 1938 BGB.

Das Schreiben der Tochter an das Nachlassgericht, mit dem sie "Feststellung und Auszahlung des mir zustehenden Pflichterbteils" forderte, war nicht geeignet, im Zusammenhang mit der Pflichtteilsstrafklausel ihre  Erbenstellung zu gefährden. Weil nämlich der Erbvertrag der Eltern keine Schlusserbeneinsetzung mit Pflichtteilsstrafklausel, sondern lediglich eine aufschiebend bedingte Enterbung ohne Erbeinsetzung gemäß § 1938 BGB enthält, bestimmt sich die Erbfolge hier nach dem Gesetz. Die gesetzliche Erbfolge steht bereits mit dem Eintritt des Erbfalls – hier: der Mutter – fest und kann deshalb nicht von Ereignissen nach dem Erbfall abhängen, deren Wirkung nicht – wie bei der Ausschlagung oder Feststellung der Erbunwürdigkeit – auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückzubeziehen ist. Eine Enterbung kann daher nur in der Weise bedingt angeordnet werden, dass sie von einem vor dem Erbfall eintretenden Ereignis abhängig gemacht wird. Außerdem ist die Enterbung bedingungs- und befristungsfeindlich. Daraus folgt, dass im konkreten Fall ein Pflichtteilsverlangen in Bezug auf den Tod des zuerst verstorbenen Vaters der Beteiligten unter Ausschlagung des im Erbvertrag enthaltenen Vermächtnisses nur bis zum Tod des zuletzt verstorbenen Elternteils zum Ausschluss von der hier zum Tragen kommenden gesetzlichen Erbfolge hätte führen können. Eine erstmals erst nach dem Tod des zuletzt verstorbenen Elternteils erhobene Forderung nach Zahlung des Pflichtteils in Bezug auf den Nachlass des zuerst verstorbenen Elternteils kann demgegenüber an der mit dem Tod des zuletzt verstorbenen Elternteils eingetretenen gesetzlichen Erbfolge nichts mehr ändern. Dies folgt auch aus dem Zweck einer solchen Pflichtteilsstrafklausel: Sie soll in der Regel sicherstellen, dass dem überlebenden Elternteil zu dessen Lebzeiten der Nachlass ungeschmälert und ungestört verbleibt; dieser Zweck kann jedoch nicht mehr realisiert werden, wenn der länger lebende Elternteil selbst bereits verstorben ist.

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