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Erbschaftsteuerfestsetzung gegen unbekannte Erben

|   Newsletter 04/2020

(BFH, Urteil vom 17.06.2020 – AZ: II R 40/17 – DStR 2020, 2301-2305)

Leitsatz

  1. Die Festsetzung von Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben ist zulässig, wenn hinreichend Zeit zur Verfügung stand, die Erben zu ermitteln. 
  2. Für eine Erbenermittlung, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, ist ein Zeitraum von einem Jahr ab dem Erbfall in der Regel angemessen. Jedenfalls nach Ablauf von drei Jahren und fünf Monaten ist es auch bei besonders schwierigen Erbenermittlungen nicht zu beanstanden, Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben festzusetzen. 
  3. Der Bescheid ist dem Nachlasspfleger bekanntzugeben. 

Sachverhalt

Der Erblasser ist am 27.02.2014 verstorben. Da seine Erben zunächst nicht ermittelt werden konnten, wurde vom Nachlassgericht am 05.06.2014 ein Nachlasspfleger bestellt. Nachdem dieser bei dem beklagten Finanzamt eine Erbschaftsteuererklärung abgegeben hatte, setzte das Finanzamt mit Bescheid vom 24.09.2015 die Erbschaftsteuer auf 265.500,00 € fest. Dabei ging es im Wege der Schätzung von 30 Erben der Steuerklasse III mit gleichen Erbquoten aus. Der Bescheid war mit einem Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Anzahl der Erben, der Höhe der jeweiligen Erbteile, der Höhe der persönlichen Freibeträge und der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestimmung der Steuerklasse versehen.

Gegen diesen Bescheid legte der Nachlasspfleger namens der unbekannten Erben Einspruch ein. Er machte geltend, eine Steuerfestsetzung gegen unbekannte Erben sei nicht möglich. Sie verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot. Auch seien die Anzahl der Erben und damit die Zahl der Steuerschuldverhältnisse ebenso wie die Größe der Erbteile und die Höhe der Freibeträge keiner Schätzung zugänglich.

Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die hiergegen beim Finanzgericht erhobene Klage wurde mit Urteil vom 09.08.2017 abgewiesen. Hiergegen legte der Nachlasspfleger am 29.08.2017 Revision ein. Am 02.02.2018 erteilte das Nachlassgericht den inzwischen als Erben ermittelten Klägern den Erbschein und hob die Nachlasspflegschaft am 16.02.2018 auf.  

Entscheidungsgründe des Bundesfinanzhofs

Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen. Das Finanzgericht hat zu Recht entschieden, dass die vom Finanzamt gegenüber den unbekannten Erben vorgenommene Festsetzung von Erbschaftsteuer im Wege einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht zu beanstanden ist.

Sind die Erben noch nicht bekannt und besteht eine Nachlasspflegschaft, kann Erbschaftsteuer gegen die unbekannten Erben festgesetzt werden. Mit der Rechtsfigur der unbekannten Erben im Sinne des § 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB ist als zunächst abstraktes Subjekt, das sich später als eine Mehrheit konkreter Personen erweisen kann, ein Steuerschuldner vorhanden, der Beteiligter eines Steuerschuldverhältnisses sein kann. Gemäß § 31 Abs. 6 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) ist ein Nachlasspfleger zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung verpflichtet. Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 ErbStG ist der Erbschaftsteuerbescheid dem Nachlasspfleger bekanntzugeben. Der Nachlasspfleger hat auch für die Bezahlung der Erbschaftsteuer zu sorgen (§ 32 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Diese Regelungen gelten für den gesamten Anwendungsbereich der Nachlasspflegschaft und damit auch für die bedeutende Fallgruppe der unbekannten Erben.

Bei der Rechtsfigur der unbekannten Erben handelt es sich nicht um eine Erbengemeinschaft, d. h. eine Mehrheit von Steuerschuldnern, sondern um ein abstraktes Subjekt, dem der Gesetzgeber die Qualität eines Steuerschuldners beigemessen hat. Als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben hat der Nachlasspfleger deren steuerliche Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung).

Sind die Erben noch nicht ermittelt und benannt, sind die Besteuerungsgrundlagen für die Festsetzung der Erbschaftsteuer gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) zu schätzen. Zu den zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen gehören die Anzahl der Erben, deren jeweilige Erbquote, die jeweilige Steuerklasse und die persönlichen Freibeträge.

Eine Befugnis zur Schätzung besteht allerdings erst, wenn der Nachlasspfleger ausreichend Zeit hatte, seine Pflicht zur Erbenermittlung und seine Mitwirkungspflichten aus § 34 Abs. 1 in Verbindung mit § 90 AO zu erfüllen. Welcher Zeitraum hierfür angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. In der Regel ist ein Zeitraum von einem Jahr ab dem Erbfall für eine Erbenermittlung, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, angemessen. Besondere Schwierigkeiten bei der Erbenermittlung, wie genealogische  Recherchen im Ausland oder fehlende Urkunden bei Sachverhalten der Auswanderung, des Krieges, der Flucht oder der Vertreibung, können im Einzelfall den Zeitraum angemessen verlängern.

Die Schätzung der Finanzbehörde ist im Klageverfahren durch das Finanzgericht vollumfänglich nachprüfbar. Das Finanzgericht hat zudem eine eigene Schätzungsbefugnis. Ihr kommt das Gericht bereits nach, wenn es die Schätzung der Finanzbehörde überprüft und als eigene übernimmt. Die Pflicht zur vollumfänglichen Prüfung der von der Finanzbehörde vorgenommenen Schätzung durch das Finanzgericht führt dazu, dass die Schätzung der Finanzbehörde noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zutreffend sein muss oder andernfalls zu ändern ist. Hat das Finanzgericht die Schätzung der Finanzbehörde übernommen, ist diese Schätzungsgegenstand des Revisionsverfahrens und gehört zu den tatsächlichen Feststellungen, an die der Bundesfinanzhof gebunden ist. Er kann sie nur darauf überprüfen, ob sie zulässig war, verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und ob das Finanzgericht anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat.

Im konkreten Fall war das Finanzamt zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen befugt. Die Schätzungsbefugnis lag auch noch am Tag der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Finanzgerichts, an dem die Erben nach wie vor nicht bekannt waren, vor. Die Schätzung erfolgte auch nicht verfrüht. Denn die mündliche Verhandlung vor dem Finanzgericht, auf deren Grundlage das Gericht entschieden hat, fand ca. drei Jahre und fünf Monate nach dem Tod des Erblassers statt. Nach Ablauf dieser Zeit ist es auch bei besonders schwierigen Erbenermittlungen angemessen, Erbschaftsteuer ohne Kenntnis der Erben festzusetzen. Deren Interessen werden – wie im Streitfall – durch die Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks gewahrt. 

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