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Pflichtteilsrecht: Bezifferung des Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei ungewisser Forderung gegen den Nachlass

|   Erbrecht

(OLG Koblenz, Beschluss vom 14.08.2020 – AZ: 12 W 173/20 –, FamRZ 2021, 60 )

Leitsatz

  1. Kann der Erbe den – dem Grunde nach anerkannten – Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch eines Berechtigten der Höhe nach noch nicht abschließend beziffern, weil gegen den Nachlass eine – vom Erben bestrittene – Forderung eines Dritten geltend gemacht wird, muss er trotzdem zunächst den unter Außerachtlassung der ungewissen Verbindlichkeit berechneten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch an den Berechtigten ausgleichen.
     
  2. Das Risiko, dass sich ein späterer Rückforderungsanspruch in Höhe eines überzahlten Betrages gegen den Pflichtteilsberechtigten nicht mehr realisieren lässt, trägt der Erbe.

Sachverhalt

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach ihrer im Jahre 2017 verstorbenen Mutter in Höhe von ursprünglich 7.148,00 € geltend gemacht. Die Beklagte (Erbin der Mutter) hat das grundsätzliche Bestehen derartiger Ansprüche nicht in Abrede gestellt, hat aber dennoch Klageabweisung beantragt, da gegenüber dem Nachlass vorrangig noch eine zweifelhafte Forderung von rund 57.000,00 € durch einen weiteren Pflichtteilsberechtigten geltend gemacht wurde. Deshalb sah sie sich nicht in der Lage, die Höhe der Ansprüche zutreffend zu beziffern, die der Klägerin berechtigterweise zustehen.

Nachdem der weitere Pflichtteilsberechtigte seine behauptete Forderung nicht mehr weiterverfolgte, hat die Beklagte den aus ihrer Sicht berechtigten Zahlungsanspruch der Klägerin beziffert und ausgeglichen. Über den danach noch offenen Restbetrag haben sich die Parteien im Vergleichswege auf hälftiger Basis verständigt und dabei vereinbart, dass das Landgericht über die Kosten des Rechtsstreits entscheiden solle.

Durch den angegriffenen Beschluss hat das Landgericht die Kosten des Rechtsstreits zu 93 % der Beklagten und zu 7 % der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte den Anspruch der Klägerin nicht sofort anerkannt habe und dass die Streitigkeiten der Beklagten mit dem weiteren Pflichtteilsberechtigten das Rechtsverhältnis zur Klägerin nicht betroffen hätten.

Hiergegen richtete sich die Beklagte mit ihrer fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde. Zur Begründung führte sie aus, die Forderung des weiteren Pflichtteilsberechtigten hätte, wenn sie begründet gewesen wäre, den Nachlass fast vollständig aufgezehrt, sodass dann der Klägerin nur noch ein ganz geringer Anspruch zugestanden hätte. Dies sei der Klägerin bekannt gewesen, sodass sie ihre Klage zu früh erhoben habe.

Entscheidungsgründe des OLG Koblenz

Die Beschwerde der Beklagten blieb beim OLG Koblenz ohne Erfolg. Das Landgericht habe zu Recht die Kosten des Rechtsstreits weit überwiegend der Beklagten auferlegt.

Denn nach § 2313 BGB sind ungewisse Verbindlichkeiten, wie sie hier bei der von dem weiteren Pflichtteilsberechtigten geltend gemachten angeblichen Forderung in Höhe von rund 57.000,00 € vorgelegen habe, bei der Feststellung des Wertes des Nachlasses für die Berechnung des Pflichtteils eines anderen Pflichtteilsberechtigten außer Ansatz zu lassen. Daher habe die Klägerin zum Zeitpunkt der Erhebung ihrer Klage ihre Ansprüche weitgehend zutreffend beziffert; die Beklagte habe zu diesem Zeitpunkt die ungewisse Verbindlichkeit gegenüber dem weiteren Pflichtteilsberechtigten nicht entgegenhalten dürfen.

Das Gesetz sehe insoweit eine Risikoverteilung dahingehend vor, dass die Beklagte zunächst den unter Außerachtlassung der ungewissen Verbindlichkeit berechneten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch der Klägerin hätte ausgleichen müssen, um dann eventuell später – hätte sich die Forderung des weiteren Pflichtteilsberechtigten als begründet herausgestellt – einen Rückforderungsanspruch in Höhe des überzahlten Betrages gegen die Klägerin geltend machen zu können (§ 2313 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das Risiko, dass sich dieser Rückzahlungsanspruch nicht mehr realisieren lässt, hätte dabei die Beklagte zu tragen gehabt.

Die Klägerin habe ihre Klage auch nicht zur Unzeit, d. h. verfrüht erhoben, sondern sei in zeitlicher Hinsicht und auch weitgehend der Höhe nach zur Geltendmachung des eingeklagten Zahlungsanspruchs berechtigt gewesen.

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