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Zum Wegfall der Befreiung von der Erbschaftsteuer bei Veräußerung des Familienheims

|   Erbrecht

(Finanzgericht Münster, Urteil vom 10.12.2020 – AZ: 3 K 420/20 Erb – )

Orientierungssatz

  1. Die Veräußerung des Familienheims führt auch dann zum Wegfall der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 Erbschaftsteuergesetz, wenn der Auszug auf ärztlichen Rat aufgrund einer Depressionserkrankung erfolgt.
     
  2. Ein "zwingender Grund" i. S. d. Gesetzes ist nur dann gegeben, wenn das Führen eines Haushalts schlechthin (etwa aufgrund von Pflegebedürftigkeit) unmöglich ist.
     
  3. Eine solche restriktive Gesetzesauslegung der Rückausnahme zum Steuerbefreiungstatbestand ist auch verfassungsrechtlich geboten, da die Steuerbefreiung für Familienheime Grundeigentümer gegenüber Inhabern anderer Vermögenswerte bevorzugt.

Sachverhalt

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) bleibt steuerfrei u. a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gelegenen bebauten Grundstück durch den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim). Nach Satz 5 dieser Vorschrift entfällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert.

Im konkreten Fall, der der Entscheidung zugrunde lag, war die Klägerin hälftige Erbin ihres am 10.03.2017 verstorbenen Ehemannes. Zu dessen Nachlass gehörte das hälftige Miteigentum an einem Einfamilienhaus, das beide gemeinsam bewohnt hatten. Die Klägerin nutzte zunächst nach dem Tod des Ehemannes das Einfamilienhaus weiter. Mit notariellem Vertrag vom 06.12.2018 verkaufte sie jedoch die Immobilie und verpflichtete sich zur Räumung bis 31.03.2019. Anschließend zog sie in eine Eigentumswohnung um, die sie mit Vertrag vom 22.01.2018 erworben hatte.

In ihrer Erbschaftsteuererklärung (Anlage Steuerbefreiung Familienheim) bezifferte sie den Wert des Familienheims mit knapp 600.000,00 €. Am 16.02.2018 erging erstmals ein Erbschaftsteuerbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand. Kurz danach reichte die Klägerin ein Sachverständigengutachten beim Finanzamt ein, wonach sich der Verkehrswert der Immobilie auf 477.000,00 € zum Todestag des Ehemannes belaufen habe. Das beklagte Finanzamt änderte daraufhin mit Bescheid vom 19.09.2019 die Erbschaftsteuerfestsetzung auf einen Betrag von 321.000,00 € ab, wobei für das ehemalige Familienheim, ausgehend von dessen Wert von 477.000,00 €, keine Steuerbefreiung gewährt wurde.

Den hiergegen erhobenen Einspruch begründete die Klägerin damit, dass sie aus objektiv zwingenden Gründen an der weiteren Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert gewesen sei. Sie sei nämlich bereits früher wegen depressiver Auffälligkeiten ärztlich behandelt worden. Nach dem Tod des Ehemannes habe sie wieder unter Depressionen gelitten. Ein Verbleib im Haus sei aus medizinischer Sicht nicht angebracht gewesen. Hierzu reichte die Klägerin eine ärztliche Stellungnahme ein, ausweislich derer sie nach dem Tod des Ehemannes regelmäßig unter Angstzuständen und emotionalen Belastungen leide, welche durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses aggraviert würden. Ein weiteres Leben dort sei aus medizinischer Sicht nicht angebracht, da weitere psychische Folgeschäden drohen würden.

Während des Einspruchsverfahrens wurde der Erbschaftsteuerbescheid nochmals geändert. Ausgehend von einem reduzierten Wert der Immobilie von nur noch rund 333.000,00 € verringerte das beklagte Finanzamt die Erbschaftsteuerfestsetzung in der Einspruchsentscheidung auf 262.215,00 € und wies den Einspruch im Übrigen zurück unter Hinweis darauf, dass die Steuerbefreiung für das Familienheim entfallen sei, weil die Klägerin es innerhalb des Zehnjahreszeitraums veräußert und damit die Eigentümerstellung auf einen Dritten übertragen habe.

Die hiergegen von der Klägerin erhobene Klage wurde vom Finanzgericht Münster als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe des Finanzgerichts Münster

In der Begründung führt das Finanzgericht Münster aus, die Klägerin sei, als sie die Nutzung des Familienheimes zu eigenen Wohnzwecken aufgegeben habe, nicht aus zwingenden Gründen im Sinne der einschlägigen Vorschrift an einer Selbstnutzung gehindert gewesen zwar verkenne der Senat nicht, dass die Depressionserkrankung und der Umstand, dass ihr Ehemann in dem Familienheim verstorben war, die Klägerin psychisch ganz erheblich belastet habe. Das genaue Ausmaß dieser psychischen Belastung brauche der Senat jedoch nicht weiter aufzuklären. Denn wenn diese ein so hohes Maß erreicht hätte, wie es für einen als zwingend anzusehenden Grund i. S. d. Vorschrift notwendig sei, führe dies jedenfalls nicht dazu, dass diese Erkrankung die Klägerin an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert hätte. Denn § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG sei dahingehend eng auszulegen, dass als "zwingende Gründe" im Sinne dieser Vorschrift nur solche in der Person des Erwerbers liegenden Gründe in Betracht kommen, die das Führen eines Haushalts schlechthin – nicht nur im Familienheim – unmöglich machen. § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG unterliege erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, die letztlich eine enge Auslegung der Norm gebieten. Der Senat habe Zweifel an der Vereinbarkeit der Norm mit dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, weil die darin geregelte Steuerfreistellung Grundeigentümer und Inhaber anderer Vermögenswerte steuerlich nicht gleich behandele.

Es könne sein, dass im Streitfall die psychischen Probleme der Klägerin einer eigenen Haushaltsführung in dem konkreten Familienheim möglicherweise entgegengestanden haben. Wie der Umzug in die Eigentumswohnung jedoch zeige, sei es ihr nicht schlechthin unmöglich gewesen, einen eigenen Haushalt zu führen.

Im konkreten Fall sei die Steuerbefreiung des Familienheims auch deshalb entfallen, weil die Klägerin das Familienheim mit notariellem Vertrag vom 06.12.2018 innerhalb des Zehnjahreszeitraums veräußert habe. Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 28.09.2016 entschieden habe, ergebe die Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG nach Sinn und Zweck der Norm, dass die Steuerbefreiung auch dann entfalle, wenn der Erbe das Eigentum am Familienheim auf Dritte überträgt, und zwar unabhängig davon, ob er das Familienheim gleichwohl weiter selbst zu Wohnzwecken nutze. Dieser Auffassung sei der Bundesfinanzhof in seiner Revisionsentscheidung vom 11.07.2019 – II R 38/16 – im Ergebnis gefolgt. Im Falle der Veräußerung des Grundstückseigentums sei es besonders augenfällig, dass der Gesetzeszweck, das Familiengebrauchsvermögen nicht nur wertmäßig, sondern gegenständlich zu schützen, nicht mehr erreicht werden könne und die Rechtfertigung der Steuerbefreiung deshalb entfalle.

Das Finanzgericht Münster hat die Revision gegen das vorstehend geschilderte Urteil zugelassen. Sie ist beim Bundesfinanzhof unter Az. II R 1/21 anhängig.

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