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Auswirkungen des Wegzugs auf ein Wohnhausvermächtnis (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.08.2022 – AZ: 3 Wx 71/22– ErbR 2022, 1016 – 1023

|   Erbrecht

Leitsatz

  1. Hat der Erblasser seiner Ehefrau das "beim Erbfall bewohnte Wohnhaus" als Vorausvermächtnis zugewendet und sind die Eheleute aufgrund der Pflegebedürftigkeit des Erblassers zu ihren Töchtern gezogen, erfordert die Inanspruchnahme des Vorausvermächtnisses, dass der Umzug aus dem ehelichen Haus nach dem Willen der Eheleute nur vorübergehend sein sollte und die Ehefrau noch im Zeitpunkt des Erbfalles die Absicht hat, in ihr früheres Wohnhaus zurückzukehren.
  2.  
  3. Von dem Vermächtniszweck ist es nicht gedeckt, wenn der überlebende Ehegatte im Zeitpunkt des Erbfalles eine andere Unterkunft gefunden hat und ein Rückgriff auf die ehemals eheliche Wohnung völlig ungewiss ist.

Sachverhalt

Die Beteiligte zu 1) – Ehefrau des Erblassers – ist aufgrund gemeinschaftlichen Testaments vom 19.07.1991 zur Testamentsvollstreckerin nach dem Tod ihres Ehemannes berufen. Sie hat das Amt angenommen. Ihr ist darüber hinaus vom Erblasser durch notarielle Urkunde vom 16.02.2018 Generalvollmacht in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten und über den Tod des Vollmachtgebers hinaus eingeräumt worden.

Die Beteiligten zu 2) bis zu 5) sind die ehelichen Abkömmlinge der Ehegatten. Sie sind neben der Beteiligten zu 1), auf die eine hälftige Erbquote entfällt, testamentarisch zu jeweils 1/8 als Erben des Erblassers eingesetzt. Ein Erbschein dieses Inhalts wurde erteilt.

Das gemeinschaftliche Testament der Ehegatten enthält u. a. die folgenden Bestimmungen:

"2. Vorausvermächtnis zugunsten des überlebenden Ehegatten

Der Zuerstversterbende von uns wendet dem Überlebenden im Wege des Vorausvermächtnisses zu:

  1. das von uns beim Erbfall bewohnte Wohnhaus oder die in diesem Zeitpunkt von uns bewohnte Eigentumswohnung, soweit diese Immobilie dem Zuerstversterbenden von uns gehört.…"

Mit Schreiben vom 24.06.2020 hat die Beteiligte zu 5) die Entlassung der Beteiligten zu 1) als Testamentsvollstreckerin beantragt. Sie meint, diese sei aus gesundheitlichen Gründen zur Ausübung des Amtes nicht mehr in der Lage und habe überdies in mehrfacher Hinsicht ihre Pflichten als Testamentsvollstreckerin verletzt. Zu Unrecht habe sie in ihrer Eigenschaft als Testamentsvollstreckerin das Hausgrundstück "K. in D." als Vorausvermächtnis in Anspruch genommen und den auf den Erblasser entfallenden Miteigentumsanteil mit notariellem Vertrag vom 17.01.2019 auf sich selbst übertragen. Bei Eintritt des Erbfalles im Dezember 2018 habe es sich nicht mehr um das vom Erblasser und seiner Ehefrau bewohnte Haus gehandelt, weil beide bereits viele Monate zuvor im September oder Oktober 2017 aufgrund der Pflegebedürftigkeit des Erblassers in das Haus der Beteiligten zu 2) und zu 3) gezogen seien und die Beteiligte zu 1) dort bis heute lebe.

(Es folgen weitere Pflichtverletzungen, die der Beteiligten zu 1) vorgeworfen werden).

Durch die angefochtene Entscheidung hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – den Antrag der Beteiligten zu 5) auf Entlassung der Beteiligten zu 1) als Testamentsvollstreckerin zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die Beteiligten zu 4) und zu 5) mit ihren Beschwerden.

Entscheidungsgründe des OLG Düsseldorf

Die Beschwerde des Beteiligten zu 4) ist unzulässig (wird ausgeführt).

Demgegenüber hat die Beschwerde der Beteiligten zu 5) Erfolg und führt zur Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung.

Die Beteiligte zu 1) ist aus dem Amt als Testamentsvollstreckerin zu entlassen, weil sie ihre Amtspflichten in schwerwiegender Weise und schuldhaft verletzt hat und das Entlassungsinteresse der Beteiligten zu 5) das Interesse der Beteiligten zu 1) bis zu 3) an der Fortsetzung der Testamentsvollstreckung durch die Beteiligte zu 1) deutlich überwiegt.

Nach § 2227 BGB kann das Nachlassgericht den Testamentsvollstrecker auf Antrag entlassen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, wobei ein solcher Grund insbesondere eine grobe Pflichtverletzung oder die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung ist. Gründe, die eine Entlassung aus dem Amt des Testamentsvollstreckers rechtfertigen, sind nur Gründe, die ein solches Gewicht besitzen, dass sie sich gegenüber den für eine Fortführung des Amtes sprechenden Gründen durchsetzen. Bei der gebotenen Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Testamentsvollstrecker um die nach dem Willen des Erblassers amtierende Vertrauensperson handelt und deshalb Beachtung verdient, ob die in Rede stehenden Umstände den Erblasser, wenn er noch lebte, zum Widerruf der Ernennung veranlasst hätten.

Wird ein Antrag auf Entlassung des Testamentsvollstreckers – wie vorliegend – mit dem Vorwurf einer Pflichtverletzung begründet, setzt ein wichtiger Grund i. S. v. § 2227 BGB Dreierlei voraus:

- Die zur Last gelegte Pflichtverletzung muss geeignet sein, die berechtigten Belange des  antragstellenden Miterben, namentlich seine Vermögensinteressen, zu beeinträchtigen,

- Die Pflichtverletzung muss zudem schuldhaft begangen worden sein und ein solches Gewicht besitzen, dass sie nach den konkreten Umständen des Falles als eine grobe Verfehlung betrachtet und wertungsmäßig mit der Unfähigkeit des Testamentsvollstreckers zu einer ordnungsgemäßen Amtsausübung auf eine Stufe gestellt werden kann.

- Die Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Erblassers muss schließlich nach den jeweiligen Umständen des Falles zu dem Ergebnis führen, dass der Testamentsvollstrecker aus seinem Amt entfernt werden muss.

Diese Voraussetzungen liegen im konkreten Fall vor.

Die Beteiligte zu 1) hat ihre Pflichten als Testamentsvollstreckerin bereits dadurch erheblich und schuldhaft verletzt, dass sie das Hausgrundstück "K. in D." als Vorausvermächtnis in Anspruch genommen und den auf den Erblasser entfallenden Miteigentumsanteil auf sich selbst übertragen hat. In Wahrheit stand der Grundbesitz nicht ihr zu, sondern ist in den Nachlass gefallen.

Ziel der Zuwendung des "beim Erbfall bewohnten Wohnhauses" als Vorausvermächtnis im gemeinschaftlichen Testament der Ehegatten war es, dem überlebenden Ehegatten die beim Tod des Erstversterbenden genutzte Wohnunterkunft zu sichern und sie dem Einfluss der Miterben zu entziehen. Für die Qualifizierung als von den Eheleuten bewohntes Wohnhaus kommt es daher nicht darauf an, in welchem Wohnhaus die Eheleute vor ihrem Einzug in das Haus der Beteiligten zu 2) und zu 3) gemeinsam gelebt haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Eheleute im September/Oktober 2017 nur vorübergehend zu ihren Töchtern, den Beteiligten zu 2) und zu 3), gezogen sind und ob die Beteiligte zu 1) noch im Zeitpunkt des Erbfalles am 27.12.2018 die Absicht hatte, in ihr früheres Wohnhaus zurückzukehren. Nur in diesem Falle wäre die Immobilie "K. in D." das "beim Erbfall bewohnte Wohnhaus", das dem überlebenden Ehegatten durch Vorausvermächtnis gesichert werden soll. Dies lässt sich jedoch entgegen der Ansicht des Amtsgerichts nicht feststellen.

Dabei kann auf sich beruhen, ob die Eheleute während des Aufenthaltes bei den Beteiligten zu 2) und zu 3) die Absicht hatten, wieder zurück in ihr Wohnhaus "K. in D." zu ziehen, sobald der Gesundheitszustand des Erblassers dies zulassen würde. Zwar behauptet dies die Beteiligte zu 1). Ihr diesbezüglicher Sachvortrag ist indes nicht nachvollziehbar. Wie sie nämlich selbst vorträgt, hat man das eigene Wohnhaus verlassen, weil der Erblasser nach einem Krankenhausaufenthalt pflegebedürftig war. Unter der neuen Anschrift haben die Eheleute sodann bis zum Tod des Ehemannes Ende Dezember 2018 mindestens 14 Monate gelebt. Dass sich der Pflegezustand des Erblassers während dieses Zeitraums in einem Maße gebessert hat, dass ein Rückzug in das eigene Wohnhaus in Betracht kommen konnte, oder dass bis zum Eintritt des Erbfalls zumindest mit einer solchen Besserung gerechnet werden konnte, legt die Beteiligte zu 1) nicht ansatzweise dar. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Daher ist der reklamierte Rückzugswille der Eheleute nach dem Sach- und Streitstand nicht glaubhaft vorgetragen.

Letztlich muss dieser Frage allerdings nicht nachgegangen werden. Denn auch die weitere notwendige Feststellung für das Vorausvermächtnis, dass nämlich die Beteiligten zu 1) seit dem Tod ihres Mannes den Wunsch besitzt, in ihr Wohnhaus zurückzukehren, lässt sich nicht treffen.

Zwar hat sie das Hausgrundstück "K. in D." bis heute weder veräußert noch geräumt und ist unter der Anschrift postalisch erreichbar. Das rechtfertigt allerdings nicht die Annahme, die Beteiligte zu 1) sei nur vorübergehend zu ihren Töchtern nach N. gezogen und beabsichtige seit dem Tod ihres Ehemannes die Rückkehr in das frühere eheliche Wohnhaus. Sie lebt seit September/Oktober 2017 – mithin seit nunmehr fast fünf Jahren – im Haushalt der Beteiligten zu 2) und zu 3). Dass sie in diesem Zeitraum zu irgendeinem Zeitpunkt irgendwelche Anstrengungen für einen Rückzug in das eigene Wohnhaus unternommen hat, trägt sie selbst nicht vor. Dafür ist auch sonst nichts zu erkennen.

Ebenso wenig sind Hinderungsgründe für eine Rückkehr ersichtlich. Die Beteiligte zu 1) betont im Gegenteil ihre gute körperliche und geistige Verfassung und legt Wert auf die Feststellung, dass sie trotz ihres hohen Alters von fast 92 Jahren uneingeschränkt in der Lage ist, ein selbstbestimmtes Leben ohne jegliche Einflussnahme oder gar Kontrolle von außen zu führen. Bei dieser Ausgangslage lässt eine lebensnahe Betrachtung nur eine Schlussfolgerung zu: Die Beteiligte zu 1) hat ihren Lebensmittelpunkt im September/Oktober 2017 von Düsseldorf nach Neuss verlegt und spätestens seit dem Tod ihres Ehemannes den Wunsch aufgegeben, in das Wohnhaus "K. in D." zurückzukehren.

Ob die Beteiligte zu 1) – wie das Amtsgericht erwogen hat – das genannte Hausgrundstück ungenutzt vorhält, um bei einem etwaigen Zerwürfnis mit den Beteiligten zu 2) und zu 3) oder für den Fall, dass sie in einem Umfang Pflege benötigt, die die Beteiligten zu 2) und zu 3) nicht leisten können oder wollen, eine Unterkunft zu besitzen, kann dahinstehen. Daraus ergäbe sich jedenfalls nicht die Befugnis, sich den Miteigentumsanteil des Erblassers als Vorausvermächtnis zu übertragen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der letztwilligen Verfügung erstreckt sich das Vorausvermächtnis auf das von den Eheleuten "beim Erbfall" bewohnte Wohnhaus und dient allein dem Ziel, dem überlebenden Ehepartner dieses als Wohnstätte zu sichern. Von dem Vermächtniszweck ist es nicht mehr gedeckt, wenn der überlebende Ehegatte im Zeitpunkt des Erbfalles eine andere Unterkunft gefunden hat und ein Rückgriff auf die ehemals eheliche Wohnung völlig ungewiss ist.

Die Beteiligte zu 1) hat bei der unberechtigten Inanspruchnahme des Vorausvermächtnisses auch schuldhaft, d. h. zumindest fahrlässig gehandelt. Wortlaut und Regelungszweck der letztwilligen Verfügung legen es bei verständiger, ergebnisoffener Betrachtung nahe, dass das Vorausvermächtnis nach dem Willen des Erblassers allein dem Ziel dient, dem überlebenden Ehegatten das beim Tod des Erstversterbenden bewohnte Haus als Wohnort zu sichern. Ebenso drängt sich auf, dass die Voraussetzungen des Vorausvermächtnisses dann nicht vorliegen, wenn der letztversterbende Ehegatte nach dem Tod des Ehepartners seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr im ehelichen Haus haben möchte und der Vermächtniszweck infolgedessen verfehlt würde. Beides hätte die Beteiligte zu 1) ohne weiteres erkennen können. Ihr hätte deshalb bei der gebotenen Aufmerksamkeit auch bewusst sein können, durch die Inanspruchnahme des Vermächtnisses rechtswidrig zu handeln.

Für Fragen auf dem Gebiet des Erbrechts steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Justizrat Dr. Manfred Birkenheier, Fachanwalt für Erbrecht, gerne zur Verfügung.

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