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Bindende Erbeinsetzung des Bruders des Erblassers in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament

|   Erbrecht

(OLG Köln, Beschluss vom 29.03.2023 – AZ: 2 Wx 39/23 – ZErb 2023, 342 – 343)

 

Leitsatz

  1. „Nahestehen“ im Sinne des § 2270 Abs. 2 BGB ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, wobei an den Begriff hohe Anforderungen zu stellen sind. Eine bindende Schlusserbeneinsetzung des Bruders des Erblassers kann vorliegen, wenn in der gemeinschaftlichen testamentarischen Anordnung ein besonderer Grund für die Erbeinsetzung aufgenommen worden ist.
  2. Die Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung erfasst auch einen angewachsenen Erbanteil.

Sachverhalt

Der Erblasser ist im Jahre 2022 verstorben. Seine Ehefrau ist bereits im Jahre 2006 vorverstorben. Die Beteiligte zu 2) ist das einzige Kind des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau.

Die Beteiligte zu 3) ist die Ehefrau des im Jahre 2021 vorverstorbenen Bruders des Erblassers.

Der Erblasser und seine vorverstorbene Ehefrau haben im Jahre 2005 ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament errichtet mit u. a. folgendem Inhalt:

"Testament:

Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen Erben unseres gesamten Nachlasses ein. Erbe des Letztversterbenden sollen D und C sein.

Grund: Unsere Tochter hat sich mit gesamter Familie von unserer Familie losgesagt, ausgeschlossen auch unsere Enkelin…. Sie hat sich mir gegenüber dahingehend geäußert, nichts mehr mit uns zu tun zu haben.

D und C haben wir darum bedacht, weil sie bei der Pflege meiner Frau uns sehr stark unterstützt haben. Dies soll der Dank dafür sein.…"

Vor seinem Tod im Jahre 2022 errichtete der Erblasser ein handschriftliches Testament, in dem er u. a. die Beteiligte zu 1) als Alleinerbin einsetzte. In der Begründung hieß es, dass die Einsetzung seines Bruders und seiner Schwägerin von seiner verstorbenen Ehefrau und ihm vorgenommen worden sei, um einerseits die gesetzliche Erbfolge seiner Tochter auszuschließen und andererseits überhaupt eine Erbfolge sicherzustellen. Die Einsetzung des Schlusserben sei nie die Bedingung für die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten gewesen.

Die Beteiligte zu 1) hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass das gemeinschaftliche Testament der Ehegatten aus dem Jahre 2005 keine eindeutige Regelung im Hinblick auf eine mögliche testamentarische Bindungswirkung des Letztversterbenden enthalte. Daher sei der im Testament des Erblassers von 2022 erklärte Widerruf der im Testament von 2005 erfolgten Einsetzung der Schlusserben möglich gewesen. Denn diese Schlusserbeneinsetzung sei nicht wechselbezüglich i. S. v. § 2270 Abs. 1 BGB erfolgt. Die vorverstorbene Ehefrau sei mit dem Bruder des Erblassers und dessen Ehefrau auch nicht verwandt gewesen. Die erbrachten Pflegeleistungen dürften nicht ausreichen, um ein "nahestehen" der Ehefrau des Erblassers zu dessen Bruder und seiner Ehefrau anzunehmen. Hierfür spreche auch, dass der Erblasser in einem "Nachtrag zum Testament" erläutert habe, warum das Verhältnis zu seinem Bruder und dessen Ehefrau doch nicht als gut und nah bezeichnet werden könne.

Die Beteiligte zu 3) – Ehefrau des vorverstorbenen Bruders des Erblassers – ist dem Antrag der Beteiligten zu 1) entgegengetreten. Sie macht geltend, dass die Einsetzung der Schlusserben in dem gemeinschaftlichen Testament von 2005 wechselbezüglich sei. Dafür spreche auch, dass die Beteiligte zu 3) und ihr Ehemann den Erblasser und seine Ehefrau bei der Pflege der Ehefrau des Erblassers unterstützt hätten und dies im Testament auch zum Ausdruck gebracht worden sei.

Das Nachlassgericht (Amtsgericht) hat den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Erteilung eines Alleinerbscheins zurückgewiesen und zur Begründung ausführt, dass gemäß § 2270 Abs. 2 BGB von der Wechselbezüglichkeit der Einsetzung des Erblassers durch dessen Ehefrau einerseits und der Einsetzung der Schlusserben durch den Erblasser andererseits auszugehen sei. Hierfür spreche die Schwägerschaft zwischen der Ehefrau des Erblassers und dessen Bruder sowie der Beteiligten zu 3) und die ausdrückliche Erwähnung des Dankes für die erbrachten Pflegeleistungen.

Gegen diese Entscheidung hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt.

Die Beteiligte zu 3) hat die Erteilung eines Alleinerbscheins zu ihren Gunsten beantragt.

Entscheidungsgründe des OLG Köln

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat keinen Erfolg, da die Beteiligte zu 1) nicht Alleinerbin des Erblassers geworden ist. Nach dem Tod seiner Ehefrau konnte der Erblasser die Einsetzung seines Bruders und der Beteiligten zu 3) (Ehefrau des Bruders) in dem gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahre 2005 gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht mehr widerrufen. Das Testament des Erblassers aus dem Jahre 2022, mit dem er die Beteiligte zu 1) als Alleinerbin eingesetzt hat, ist daher nicht wirksam.

Die Einsetzung des Bruders des Erblassers und dessen Ehefrau, der Beteiligten zu 3), in dem Testament von 2005 ist wechselbezüglich i. S. v. § 2270 BGB erfolgt. Eine Wechselbezüglichkeit in einem gemeinschaftlichen Testament setzt nach § 2270 Abs. 1 BGB voraus, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, also nach dem Willen der Eheleute die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen soll. Enthält das Testament keine ausdrückliche Regelung über die Frage der Wechselbezüglichkeit, ist diese durch Auslegung zu bestimmen.

Im vorliegenden Fall greift die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ein. Nach dieser Vorschrift ist ein Verhältnis der Wechselbezüglichkeit der letztwilligen Verfügungen zueinander im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht.

Die Ehefrau des Erblassers hat diesen zu ihrem Alleinerben eingesetzt. Für den Fall seines Überlebens hat der Erblasser seinen Bruder und dessen Ehefrau als Schlusserben eingesetzt. Der Bruder des Erblassers und Ehefrau waren zwar nicht verwandt mit der vorverstorbenen Ehefrau des Erblassers. Sie standen ihr jedoch sonst nahe.

"Nahestehen" ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu entscheiden. An den Begriff sind hohe Anforderungen zu stellen. Diese Anforderungen sind im vorliegenden Fall jedoch erfüllt. Denn der Erblasser und seine Ehefrau haben in dem gemeinschaftlichen Testament als Grund für die Einsetzung des Bruders des Erblassers und dessen Ehefrau ausdrücklich aufgenommen, dass die Einsetzung wegen der Unterstützung bei der Pflege der Ehefrau des Erblassers erfolgt ist. Im Hinblick auf diese Unterstützung bei der Pflege ist ein Näheverhältnis des Bruders des Erblassers und seiner Ehefrau, der Beteiligten zu 3), zur Ehefrau des Erblassers anzunehmen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Ehefrau des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Jahre 2005, die weniger als ein Jahr vor ihrem Tod erfolgte, offenbar schwer an Arthrose erkrankt war.… (Wird ausgeführt). Dies spricht aber dafür, dass die Ehefrau auf nicht unerhebliche Pflegeleistungen angewiesen war, die wiederum auf ein Näheverhältnis zwischen der gepflegten Person und den pflegenden Personen schließen lässt, zumal es sich bei Letzteren nicht um Fremde, sondern um den Bruder des Erblassers und dessen Ehefrau handelte.

Einem Nahestehen zwischen der Ehefrau des Erblassers einerseits und dem Bruder des Erblassers und dessen Ehefrau andererseits zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung steht auch nicht entgegen, dass das Verhältnis zwischen dem Erblasser und seinem Bruder sowie dessen Ehefrau nach dem Tod der Ehefrau des Erblassers nicht mehr ungetrübt war, was sich aus dem erwähnten "Nachtrag zum Testament" des Erblassers ergibt.

Denn es kommt insoweit auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung und auf das Verhältnis der Ehefrau des Erblassers zu dem Bruder des Erblassers und dessen Ehefrau zu diesem Zeitpunkt und nicht zu einem späteren Zeitpunkt an.

Da der Bruder des Erblassers vorverstorben ist, wächst sein Erbanteil der Beteiligten zu 3) an. Die Wechselbezüglichkeit der Einsetzung der Beteiligten zu 3) erfasst auch den angewachsenen Anteil ihres vorverstorbenen Ehemannes.

Im Ergebnis hat aus diesen Gründen der Antrag der Beteiligten zu 1) auf Erteilung eines Alleinerbscheins keinen Erfolg. Das Nachlassgericht wird über den Antrag der Beteiligten zu 3) noch zu entscheiden haben.

Für Fragen auf dem Gebiet des Erbrechts steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Justizrat Dr. Manfred Birkenheier, Fachanwalt für Erbrecht, gerne zur Verfügung.

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