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Gerichtsstand in Nachlasssachen bei Tod im Hospiz

|   Erbrecht

(OLG Braunschweig, Beschluss vom 07.02.2022 – AZ: 9 W 3/22 – ErbR 2023, 225–227)

Leitsatz

  1. Der gewöhnliche Aufenthalt ist der Ort, an dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person und ihr Daseinsmittelpunkt liegt und ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu ermitteln.
  2. Die bloße Anwesenheit im Hospiz wird nicht allein dadurch zum dortigen gewöhnlichen Aufenthalt, dass diese Anwesenheit voraussichtlich eher durch den Tod als die Rückkehr in die Wohnung enden wird.
  3. Der Umstand, dass eine Person alleinlebend ist, ist kein taugliches Merkmal zur Feststellung ihres Daseinsmittelpunkts.

Sachverhalt

Die Vermieterin der verstorbenen Erblasserin hat im Oktober 2021 beim Amtsgericht Northeim am Harz beantragt, einen Nachlasspfleger einzusetzen, um das Mietverhältnis mit der Verstorbenen kündigen und die Räumung der Wohnung herbeiführen zu können.

Ebenfalls im Oktober 2021 hat auch die Beteiligte zu 2) das Amtsgericht Northeim vom Tod der Erblasserin informiert und im Hinblick auf die entstandenen Bestattungskosten in Höhe von ca. 1.400,00 € ebenfalls die Bestellung eines Nachlasspflegers beantragt.

Die Erblasserin lebte ausweislich des von der Vermieterin vorgelegten Mietvertrages seit dem 01.07.2021 in einer Mietwohnung in Northeim am Harz. Bei den Stadtwerken Northeim wurde die Erblasserin mit eigener Kundennummer geführt. Von der Vermieterin war zu erfahren, dass die Erblasserin selbstständig und bewusst nach Northeim gezogen war, um sich dort langfristig niederzulassen.

Das Hospiz, in dem die Erblasserin zuletzt untergebracht war, befand sich in Göttingen.

Das Amtsgericht Northeim hat die Sache mit den beiden Anträgen auf Einsetzung eines Nachlasspflegers mit Beschluss vom 08.11.2021 an das Amtsgericht Göttingen verwiesen. Das Amtsgericht Göttingen hat sich mit Beschluss vom 25.11.2021 für unzuständig erklärt und die Sache an das Amtsgericht Northeim zurückverwiesen. Das Amtsgericht Northeim hat sodann mit Verfügung vom 06.12.2021 unter Hinweis auf die vermeintliche Bindungswirkung seines Verweisungsbeschlusses die Sache erneut dem Amtsgericht Göttingen zugeleitet. Das Amtsgericht Göttingen hat dann mit Beschluss vom 18.01.2022 die Sache dem Oberlandesgericht Braunschweig als dem nächsthöheren gemeinsamen Gericht zur Entscheidung über die Frage der Zuständigkeit vorgelegt.

Entscheidungsgründe des Oberlandesgerichts Braunschweig

Zuständig ist das Amtsgericht – Nachlassgericht-Northeim. Dessen Verweisungsbeschluss ist rechtlich nicht zutreffend und auch nicht bindend.

Die örtliche Zuständigkeit knüpft an den letzten inländischen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers an. Dies ist der Ort, an dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person und ihr Daseinsmittelpunkt liegen. Dieser Ort ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu ermitteln.

Die bloße Anwesenheit in einem Hospiz führt nicht allein dadurch zum dortigen gewöhnlichen Aufenthalt, dass diese Anwesenheit voraussichtlich eher durch den Tod als die Rückkehr in die Wohnung enden wird. Der Aufenthalt in einem Hospiz, der nur – entsprechend einer ärztlichen Behandlung in einem Krankenhaus zum Zwecke der Heilung – für die Zeit bis zum Tod unter Nutzung der dort gegebenen besseren Pflege- und Änderungsmöglichkeiten gewählt wird, ohne gleichzeitig die sozialen Bindungen zum vorhergehenden gewöhnlichen häuslichen Aufenthalt aufzugeben, bleibt ein lediglich vorübergehender.

Im konkreten Falle ergibt sich aus den festgestellten Umständen, dass die Erblasserin seit dem 01.07.2021 ihren Daseinsmittelpunkt in Northeim hatte. Für eine bewusste Aufgabe dieses bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts in Northeim ist nichts ersichtlich, insbesondere nicht aufgrund ihres Aufenthalts im Hospiz in Göttingen.

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Northeim vom 08.11.2021 war objektiv willkürlich und daher nicht bindend. Dies folgt im konkreten Fall daraus, dass das verweisende Gericht trotz klar erkennbaren Anlasses weder Umstände ermittelt noch dargelegt hat, die seine Zuständigkeit in Frage stellen könnten. Außerdem hat das Amtsgericht Northeim den Anspruch der beiden Beteiligten auf rechtliches Gehör bei der Frage der Verweisung nicht beachtet. Der im Verweisungsbeschluss vom 08.11.2021 noch herangezogene Umstand, dass die Erblasserin in der Wohnung in Northeim allein gelebt hat, entbehrt als Merkmal eines Daseinsmittelpunktes jeder rechtlichen Grundlage und Logik.

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