Detail

Pflicht des Notars zur Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses

|   Erbrecht

(BGH, Beschluss vom 19.06.2024 – AZ: IV ZB 13/23 – ErbR 2024, 780 – 784)

Leitsätze

  1. Im Hinblick auf die Urkundsgewährungspflicht des Notars sind an die Annahme eines ausreichenden Grundes i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO, der den Notar zur Verweigerung der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB und damit seiner Urkundstätigkeit berechtigt, hohe Anforderungen zu stellen.
  2. Stellt der Notar im Rahmen seiner Ermittlungspflicht die gebotenen Nachforschungen an und wirkt der Erbe bei der Sachaufklärung im erforderlichen und zumutbaren Umfang mit, berechtigen verbleibende Unklarheiten den Notar nicht zur Verweigerung seiner Amtstätigkeit.
  3. Ein Notar ist über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus zur Verweigerung der gewünschten Urkundstätigkeit berechtigt, wenn diese nach ihrer Art oder einzelner ihrer Begleitumstände den zwingenden Ablehnungsgründen so nahekommt, dass sie mit der Stellung des Notars als Organ der vorsorgenden Rechtspflege nicht mehr vereinbar ist.
  4. Der Notar hat den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig zu ermitteln und durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck zu bringen, dass er den Inhalt verantwortet; dabei hat er diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Pflichtteilsgläubigers für erforderlich halten würde.
  5. Die vom Erben geschuldete Kooperation bei der Durchsetzung von Auskunftsansprüchen gegenüber Geldinstituten kann auch in der Anweisung an Dritte bestehen, die benötigten Auskünfte unmittelbar gegenüber dem Notar zu erteilen.
  6. Der fiktive Nachlass umfasst ausgleichungspflichtige Zuwendungen und Schenkungen des Erblassers und ist über den Wortlaut des § 2314 BGB hinaus Gegenstand der dort normierten Auskunftspflicht.
  7. Übermittelt der Erbe auf Anforderung die fehlenden Kontoauszüge nicht, muss der Notar das in der Person des Erben vorhandene Aufklärungspotential in der Weise nutzen, dass er diesen auffordert, eigene Auskunftsansprüche gegenüber Geldinstituten durchzusetzen oder sich eine Vollmacht des Erben zu einer von ihm selbst durchzuführenden Anfrage bei den Banken erteilen lassen.
  8. Der mit der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses verbundene Zeitaufwand stellt angesichts der Pflicht zur Amtsbereitschaft im Interesse der Gewährleistung einer leistungsfähigen vorsorgenden Rechtspflege keinen ausreichenden Grund i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO für die Verweigerung der Amtstätigkeit des Notars dar.

 

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin, die Lebensgefährtin und Alleinerbin des im März 2020 verstorbenen Erblassers, begehrt die Anweisung an den Notar Dr. R. M., ein notarielles Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Durch Teilurteil des zuständigen Landgerichts war sie zur Auskunftserteilung an den Pflichtteilsgläubiger mittels Vorlage eines solchen Nachlassverzeichnisses verurteilt worden.

Die Beschwerdeführerin beauftragte den Notar im Februar 2021. Dieser stellte eigene Ermittlungen zum Bestand des Nachlasses an, wobei er in den elektronischen Grundbüchern mehrerer Amtsgerichte recherchierte sowie zehn Kreditinstitute um Auskunft über Geschäftsverbindungen zum Erblasser ersuchte. Die Beschwerdeführerin reichte vom Notar angeforderte Unterlagen ein, äußerte dabei jedoch ihre Unsicherheit in Bezug auf die Verlässlichkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben zum Vermögen des Erblassers. Hinsichtlich pflichtteilsrelevanter Schenkungen und Zuwendungen des Erblassers konnte sie nahezu keine Angaben machen.

Mit Schreiben vom 13.06.2022 hat der Notar die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses mit der Begründung abgelehnt, er sei nicht in der Lage, ein den hohen Anforderungen der Rechtsprechung genügendes Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Seine Ermittlungsmöglichkeiten betrachte er als ausgeschöpft. Die Beschwerdeführerin könne zu klärungsbedürftigen Sachverhalten keine hinreichend sicheren Angaben machen. Sie habe mitgeteilt, es gebe noch eine Vielzahl an Dokumentenordnern, zu deren Sichtung sie bislang nicht gekommen sei. Hinsichtlich lebzeitiger Schenkungen des Erblassers habe sie lediglich von Schenkungen an die Enkelin des Erblassers berichtet, ohne jedoch deren Höhe und Zeitpunkte benennen zu können. Da die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkomme, könne er aufgrund der Vielzahl unklarer Sachverhalte ein Nachlassverzeichnis nicht errichten.

Hilfsweise hat der Notar Unzumutbarkeit einer weiteren Tätigkeit geltend gemacht. Der Entwurf des Nachlassverzeichnisses nehme bereits mehr als ein Jahr in Anspruch. Um bestehende Zweifel und Unklarheiten ausräumen zu können, müsse eine Vielzahl weiterer Dokumente gesichtet werden. Kontoauszüge der bekannten Bankkonten lägen bislang nicht vollständig vor. Teilweise fehlten Kontoauszüge völlig. Auch sei zweifelhaft, dass alle Konten des Erblassers erfasst worden seien.

Die Beschwerdeführerin hat gegen die Weigerung des Notars, ein Nachlassverzeichnis zu erstellen, Beschwerde eingelegt, die vom Landgericht zurückgewiesen worden ist. Dagegen richtet sich die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde.

Das Beschwerdegericht hat gemeint, es liege ein ausreichender Grund i. S. d. § 15 Abs. 1 BNotO vor, der den Notar zur Verweigerung des Amtsgeschäfts berechtige. Die von ihm angestellten eigenen Ermittlungen seien angemessen und ausreichend gewesen. Er sei darauf angewiesen, dass ihm die Erbin die für den Nachlass relevanten Unterlagen zur Verfügung stelle und Auskünfte erteile. Da sich die Beschwerdeführerin hierzu nicht in der  Lage sehe, könne der Notar mit den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen kein umfassendes und inhaltlich richtiges Nachlassverzeichnis erstellen. Stehe jedoch – wie hier – die Unvollständigkeit des Nachlassverzeichnisses fest, müsse der Notar die Amtshandlung ablehnen, da er andernfalls unter Verstoß gegen die Vermutung der Vollständigkeit der notariellen Urkunde eine unvollständige Urkunde errichten würde.

 

Entscheidungsgründe des BGH

Der BGH hat die Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführerin für begründet erklärt. Der Notar sei im konkreten Fall nicht berechtigt, die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses abzulehnen.

In seiner ausführlichen Begründung hat der BGH die oben aufgeführten Leitsätze formuliert.

 

2)
Zur Frage der Umdeutung eines wegen Testierunfähigkeit unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des testierfähigen Ehegatten
(OLG Celle, Beschluss vom 14.03.2024 – AZ: 6 W 106/23 - ErbR 2024, 800 – 802)

 

  1. Ein gemeinschaftliches Testament ist unwirksam, wenn ein Ehegatte bei Testamentserrichtung testierunfähig war.
  2. Eine Umdeutung eines aufgrund Testierunfähigkeit eines Ehegatten unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des testierfähigen Ehegatten kommt nicht in Betracht, wenn nur der testierunfähige Ehegatte den Wortlaut der letztwilligen Verfügungen eigenhändig geschrieben hat.

Sachverhalt

Der im Oktober 2020 verstorbene Erblasser war bis zu seinem Tod mit der Beteiligten zu 1) verheiratet. Das Ehepaar hatte zwei gemeinsame Kinder, die Beteiligten zu 2) und 3).

Im Oktober 1993 errichteten der Erblasser und die Beteiligte zu 1) eine von dieser eigenhändig geschriebene und vom Erblasser und ihr unterschriebene letztwillige Verfügung, die nur noch in Kopie vorliegt. Sie enthielt Zuwendungen an die beiden Kinder.

Es existiert ein weiteres Testament vom Juni 2018, dass die Beteiligte zu 1) eigenhändig geschrieben und unterschrieben hat und der Erblasser ebenfalls eigenhändig unterschrieben hat. Darin hieß es, dass das gemeinschaftliche Testament aus dem Jahre 1993 einvernehmlich von den Ehegatten vernichtet worden sei. Vorsorglich werde dieses Testament noch einmal seinem ganzen Inhalt nach aufgehoben. Außerdem setzten sich die Ehegatten wechselseitig als Alleinerben auf den Tod des Erstversterbenden ein.

Außerdem existiert eine Ergänzung zu diesem Testament vom Juli 2018, die ebenfalls von der Beteiligten zu 1) eigenhändig geschrieben und unterschrieben ist und die der Erblasser eigenhändig unterschrieben hat. Darin heißt es, dass sich die Ehegatten auf den Tod des Erstversterbenden wechselseitig als befreite Vorerben einsetzen und Nacherben sowie alleinige Schlusserbin nach dem Längstlebenden die Beteiligte zu 2) (Tochter) sein solle.

Die Beteiligte zu 1) lebte seit dem Jahr 2016 nicht mehr im ehelichen Haushalt, sondern aufgrund einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim.

Im Februar 2017 brachte der Erblasser seine mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebende Schwester im Affekt um. Anschließend befand er sich in der geschlossenen Psychiatrie, weil er nach dem Tötungsdelikt versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Er wurde im Februar 2018 wegen Totschlags zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.

Die Beteiligte zu 2) hat vorgetragen, sie habe das gemeinschaftliche Testament aus dem Jahre 1993 dem Vater in die Psychiatrie gebracht und sich hiervon zuvor eine Kopie erstellt. Im April oder Mai 2017 habe ihr der Erblasser mitgeteilt, er habe das Testament aus dem Jahre 1993 zerrissen.

Im Mai 2018 beantragte der Beteiligte zu 3) (Sohn) die Einleitung eines Betreuungsverfahrens für beide Eltern. Die Einrichtung einer Betreuung für den Erblasser wurde mit der Begründung abgelehnt, dass dieser noch in der Lage sei, seine eigenen Angelegenheiten eigenständig zu regeln. Für die Beteiligte zu 1) lehnte das Gericht die Einrichtung einer Betreuung ab, weil die anstehenden Angelegenheiten durch Vorsorgevollmachten ausreichend geregelt worden seien.

Die Beteiligte zu 1), vertreten durch die Beteiligte zu 2), hat im Dezember 2020 einen Erbschein des Inhalts beantragt, dass sie alleinige befreite Vorerbin des Erblassers geworden sei und die Nacherbfolge der Beteiligten zu 2) nach ihrem Tod als Vorerbin eintrete. Der Antrag wurde auf die beiden Testamente aus 2018 gestützt.

Der Beteiligte zu 3) hat der Erteilung des beantragten Erbscheins widersprochen und geltend gemacht, beide Eltern seien zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig gewesen. Das Amtsgericht hat zur Frage der Testierfähigkeit ein Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass die Beteiligte zu 1) bei Errichtung der beiden Testamente im Jahr 2018 testierunfähig gewesen sei. Hinsichtlich des Erblassers habe sich jedoch nicht die Überzeugung ergeben, dass dieser zum Zeitpunkt der Errichtung der beiden Testamente im Jahre 2018 testierunfähig gewesen sei. Die beiden Testamente könnten jedoch jeweils in ein Einzeltestament des Erblassers umgedeutet werden.

Dagegen wendet sich der Beteiligte zu 3) mit seiner Beschwerde, mit der er die Zurückweisung des Erbscheinsantrags der Beteiligten zu 1) begehrt.

 

Entscheidungsgründe des OLG Celle

Die Beschwerde ist begründet. Die letztwilligen Verfügungen des Erblassers und der Beteiligten zu 1) vom Juni/Juli 2018, auf die die Beteiligte zu 1) ihren Erbscheinsantrag stützt, sind unwirksam.

Ein wirksames gemeinschaftliches Testament liegt nicht vor, wenn einer der Ehegatten bei der Errichtung testierunfähig war. Die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments ist von dem Willen beider Eheleute getragen und erfordert eine wirksame Verfügung eines jeden Ehegatten. Kann einer von beiden ein Testament nicht errichten,, kommt es auf die Einhaltung der formalen Voraussetzungen des § 2267 BGB nicht an, sondern kommt ein gemeinschaftliches Testament nicht zustande.

Eine Umdeutung gemäß § 140 BGB des unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des Erblassers kommt im Streitfall nicht in Betracht, weil der Erblasser die getroffenen Anordnungen nicht eigenhändig geschrieben, sondern den von der Beteiligten zu 1) geschriebenen Text nur unterschrieben hat. Haben die Beteiligten nämlich ein gemeinschaftliches Testament unter Rückgriff auf die Formerleichterung in § 2267 BGB errichtet, dann kann die bloße Beitrittserklärung bzw. Mitunterzeichnung eines Beteiligten nicht als eigenes Testament angesehen werden. Eine Umdeutung als Einzeltestament kommt dann nur für den Teil in Betracht, der die Verfügung eigenhändig niedergelegt hat und somit die in § 2247 BGB genannten Voraussetzungen erfüllt. Daraus folgt, dass die letztwilligen Verfügungen des Erblassers vom Juni/Juli 2018 auch als Einzeltestament unwirksam und nichtig sind.

 

3)
Erbvertrag zwischen nichtehelichen Lebensgefährten
(BGH, Beschluss vom 22.05.2024 – AZ: IV ZB 26/23 – ErbR 2024, 687 – 689 mit Anmerkung Muscheler, ErbR 2024, 689 – 691)

 

Leitsatz

§ 2077 Abs. 1 und Abs. 2 BGB sind jedenfalls auf letztwillige Verfügungen zugunsten des nichtehelichen Lebensgefährten des Erblassers, die keinen Bezug zu ihrer späteren Eheschließung aufweisen, nicht analog anwendbar.

 

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) in einem mit der Erblasserin mehrere Jahre vor ihrer Eheschließung geschlossenen Erbvertrag aufgrund der späteren Scheidung unwirksam geworden ist.

Der Beteiligte zu 2) ist der Sohn der Erblasserin und ihr einziges Kind. Die Erblasserin und der Beteiligte zu 1) schlossen im Jahre 1995, als sie noch nicht miteinander verheiratet waren, einen als "Erbvertrag und Erwerbsrecht" bezeichneten notariellen Vertrag. Sie setzten sich darin mit wechselseitiger Bindungswirkung gegenseitig zu Alleinerben ein. Als Erben des Längstlebenden bestimmten sie den Beteiligten zu 2) und die beiden Kinder des Beteiligten zu 1). Ferner vereinbarten sie ein "Erwerbsrecht" dahingehend, dass der Beteiligte zu 1) ein von der Erblasserin zu Alleineigentum erworbenes Grundstück u. a. dann zur Hälfte erwerben könne, sobald die zwischen ihnen bestehende Lebensgemeinschaft endet, eine etwa nachfolgende Ehe zwischen ihnen geschieden werde oder im Falle einer Eheschließung seit dem Zeitraum des Getrenntlebens mehr als drei Monate verstrichen seien.

Im Dezember 1999 schlossen die Erblasserin und der Beteiligte zu 1) die Ehe. Diese wurde im Januar 2021 rechtskräftig geschieden. Im Zuge des Ehescheidungsverfahrens hatten die Erblasserin und der Beteiligte zu 1) über die Aufhebung des Erbvertrages verhandelt. Es kam jedoch nicht zur Unterzeichnung einer entsprechenden notariellen Urkunde.

Das Amtsgericht hat die für den Antrag des Beteiligten zu 1) auf Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbe erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 2) zurückgewiesen. Zur Durchführung der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde beantragt der Beteiligte zu 2) die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe.

 

Entscheidungsgründe des BGH

Die beantragte Verfahrenskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Rechtsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Rechtsbeschwerde ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.

Die Auslegung des Erbvertrages von 1995 durch das Beschwerdegericht, dass diesem Erbvertrag keine Anhaltspunkte für einen übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien zu entnehmen seien, dass die Einsetzung des Beteiligten zu 1) als Alleinerbe entfallen solle, wenn die Erblasserin und er später heirateten und die Ehe in der Folge wieder geschieden würde, hält der Überprüfung stand.

Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht angenommen, dass entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 2) dem Erbvertrag keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen seien, es sei der übereinstimmende Wille der Erblasserin und des Beteiligten zu 1) bei Abschluss des Erbvertrages gewesen, dass die Einsetzung des jeweils anderen als Alleinerben des Erstversterbenden entfallen sollte, wenn die Vertragsparteien später heirateten und ihre Ehe später wieder geschieden werden sollte.

Insbesondere hat das Beschwerdegericht auch ohne Rechtsfehler einen Rückschluss auf den Willen der Vertragsparteien bei Abschluss des Erbvertrages von 1995 wegen des nach der Scheidung im Jahr 2021 gefertigten zweiten Entwurfs eines notariellen Vertrages verneint, mit dem die Unwirksamkeit der erbvertraglichen Regelung klargestellt werden sollte. Weiter hat es rechtsfehlerfrei angenommen, dass aus der Vereinbarung eines Erwerbsrechts des Beteiligten zu 1) an der Immobilie der Erblasserin, u. a. für den Fall der Scheidung einer etwa nachfolgenden Ehe, kein Wille der Vertragsparteien hinsichtlich des erbvertraglichen Teils des notariellen Vertrages von 1995 abzuleiten sei, an diese Regelungen die Rechtsfolge zu knüpfen, dass die Erbeinsetzung des jeweils anderen entfallen solle. Im Gegenteil spricht gerade die unterbliebene Bestimmung von Rechtsfolgen im erbvertraglichen Teil für den Fall einer Beendigung der Partnerschaft, während solche im Erwerbs rechtlichen Teil ausdrücklich vorgesehen waren, gegen einen solchen Willen. Da die Erbvertragsparteien sowohl den Fall einer Beendigung ihrer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als auch die Möglichkeit einer nachfolgenden Eheschließung und Ehescheidung bedacht haben, ist mangels ungewollter Regelungslücke hier kein Raum für eine ergänzende Auslegung des Erbvertrages.

Die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) ist nicht gemäß § 2077 Abs. 1 oder Abs. 2 in Verbindung mit § 2279 BGB unwirksam.

Nach § 2077 Abs. 1 BGB ist eine letztwillige Verfügung unwirksam, durch die der Erblasser seinen Ehegatten bedacht hat, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers aufgelöst worden ist. Die Regelung soll einer nachträglich eintretenden wesentlichen Veränderung in den Beziehungen von Erblasser und Bedachtem mit Rücksicht auf die allgemeine Lebenserfahrung Rechnung tragen. Für den Regelfall misst § 2077 Abs. 1 BGB einer solchen letztwilligen Zuwendung den Inhalt zu, nur für den Fall des Bestehens der Ehe getroffen zu sein. Das Gleiche gilt gemäß § 2077 Abs. 2 BGB, wenn der Erblasser seine letztwillige Verfügung zugunsten seines Verlobten getroffen hat, das Verlöbnis aber vor dem Eintritt des Todesfalles aufgelöst worden ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Denn § 2077 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB setzen in direkter Anwendung das Bestehen einer Ehe bzw. eines Verlöbnisses im Zeitpunkt der letztwilligen Verfügung voraus.

Das Beschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Vertragsparteien, die bei Abschluss des Erbvertrages nicht miteinander verheiratet waren, auch nicht im Rechtssinne miteinander verlobt waren. Die nach Auffassung des Beschwerdegerichts nachvollziehbare Einlassung des Beteiligten zu 1), es sei damals im Hinblick auf die beiderseitigen Scheidungen nicht an eine Eheschließung gedacht worden, wird zum einen dadurch bestätigt, dass diese erst viereinhalb Jahre nach Abschluss des Erbvertrages erfolgte, und zum anderen durch die Formulierung in dem notariellen Vertrag, wo lediglich eine "etwa nachfolgende Ehe" erwähnt ist. Für ein Verlöbnis als gegenseitiges ernstliches Eheversprechen fehlt es damit an Anhaltspunkten.

§ 2077 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jedenfalls dann auch nicht analog anwendbar, wenn der Erblasser und der Bedachte im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht verheiratet oder verlobt waren und auch kein hinreichender Bezug der Verfügung zu einer späteren Eheschließung vorliegt.

Die überwiegende Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung verneint die analoge Anwendung von § 2077 Abs. 1 BGB auf nichteheliche Lebensgemeinschaften, auch wenn später die Ehe geschlossen wird, generell oder jedenfalls für den Fall, dass die Verfügung nicht zumindest in Erwartung einer Eheschließung erfolgt.

Jedenfalls in der hier zu beurteilenden Fallkonstellation ist § 2077 Abs. 1 und Abs. 2 BGB nicht analog anwendbar auf letztwillige Verfügungen zugunsten des nichtehelichen Lebensgefährten des Erblassers, die keinen Bezug zu ihrer späteren Eheschließung aufweisen. Es fehlt an einer mit der allgemeinen Lebenserfahrung begründbaren dahingehenden Vermutung, wie sie der Regelung des § 2077 BGB für den Fall einer nachträglich eintretenden wesentlichen Veränderung in den Beziehungen von Erblasser und Bedachtem zugrunde liegt.

Auch eine spätere Eheschließung rechtfertigt nicht grundsätzlich den Schluss auf einen auf den Wegfall der letztwilligen Verfügung im Scheidungsfall gerichteten Willen des Erblassers, der seinen nichtehelichen Lebensgefährten bedacht hat, jedenfalls dann nicht, wenn – wie hier – ein Bezug der Verfügung zur Eheschließung fehlt.

Anmerkung:

In einer Anmerkung zu dieser Entscheidung hat Prof. Dr. Karlheinz Muscheler, Universität Bochum, das Ergebnis der Entscheidung kritisiert. Er hält das Ergebnis für falsch, weil die Beteiligten des Erbvertrages von 1995 „wie selbstverständlich davon ausgegangen“ seien, dass im Fall der Scheidung die Erbeinsetzung entfalle.

 

Für Fragen auf dem Gebiet des Erbrechts steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Justizrat Dr. Manfred Birkenheier, Fachanwalt für Erbrecht, gerne zur Verfügung

Zurück