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Pflichtteilsentziehung, Anforderungen an ein Nachlassverzeichnis und Wertermittlung, Zurückbehaltungsrecht bei Auskunftsansprüchen

|   Newsletter 04/2020

(Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 24.04.2020 – AZ: I-7 U 62/19 – ErbR 2020, 733-734)

Leitsatz

  1. Die Formulierung in einem Testament, ein enterbter Abkömmling habe "seinen gesamten Erbteil bereits genommen", kann nicht ohne weiteres als Entziehung des Pflichtteils ausgelegt werden.
  2. Fotos von Nachlassgegenständen sind nicht geeignet, das gemäß §§ 2314, 260 BGB geschuldete Bestandsverzeichnis zu ersetzen.
  3. Eine den Anforderungen des § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB genügende Begutachtung setzt voraus, dass der Sachverständige das zu bewertende Grundstück selbst in Augenschein nimmt und sich nicht auf Angaben des Erben verlässt.
  4. Ein Zurückbehaltungsrecht ist durch die besondere Natur des Auskunftsanspruchs ausgeschlossen, selbst wenn der Gegenanspruch ebenfalls auf die Erteilung einer Auskunft gerichtet ist.

Sachverhalt

Der Kläger macht den Pflichtteil nach dem vom Beklagten beerbten Großvater der Parteien geltend. Dieser hat ein handschriftliches Testament errichtet. Darin heißt es u. a.:

"Mein Enkel E. soll allein mein verbliebenes Vermögen erben. Land, Hofstelle, Bar- und Sparvermögen. Mein Enkel F. hat seinen gesamten Erbteil bereits genommen. Meine Spareinlagen bei der… ca. mindestens 65.000,00 €."

Das Landgericht hat den Beklagten zur Auskunftserteilung und Wertermittlung verurteilt. Hiergegen richtet sich seine Berufung. 

Entscheidungsgründe des OLG Düsseldorf 

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Der Erblasser hat dem Kläger den Pflichtteil nicht nach §§ 2333, 2336 BGB wirksam entzogen. Es fehlt sowohl an einer vom Erblasser angeordneten Entziehung des Pflichtteils als auch an der Angabe eines Entziehungsgrundes.

Eine ausdrückliche Erklärung, dass dem Kläger nicht nur der Erbteil, sondern auch der Pflichtteil entzogen werden soll, hat der Erblasser im Testament nicht abgegeben. Zwar braucht die Pflichtteilsentziehung nicht unter Verwendung dieses Wortes angeordnet zu werden. Jedoch muss sich der Entziehungswille wenigstens schlüssig und unzweideutig aus der letztwilligen Verfügung ergeben. Insoweit sind bei der Auslegung alle Umstände und in eigenhändigen Testamenten auch landsmannschaftliche Eigenarten, Bildungsgrad und Diktion des Erblassers zu beachten. Formulierungen wie z. B. "soll keinen Pfennig erhalten, weil" oder "soll in die Röhre schauen, weil" sprechen für eine Entziehung des Pflichtteils. Eine derartige Formulierung hat der Erblasser im vorliegenden Fall aber nicht gewählt, sondern in seinem Testament geschrieben, dass der Beklagte alles allein "erben" solle, was gerade nicht heißen muss, dass er auch Pflichtteilsansprüche des Klägers ausschließen wollte. Die Ausschließung von der gesetzlichen Erbfolge kann nicht ohne weiteres als Anordnung einer Pflichtteilsentziehung verstanden werden.

Der Erblasser hat auch nicht etwa Pflichtteilsentziehungsgründe im Sinne von § 2333 BGB genannt, die auf einen Willen zur Pflichtteilsentziehung schließen lassen könnten. Hierfür muss der Entziehungsgrund so speziell und hinreichend deutlich angegeben sein, dass dem Richter bei der Prüfung, ob die Entziehung gerechtfertigt ist, die Beurteilung ermöglicht werden kann, auf welchen Tatbestand sich die Entziehung begründet und ob sie gerechtfertigt ist. Der Bundesgerichtshof hat es als ausreichend angesehen, wenn zur Angabe des Pflichtteilsentziehungsgrundes in der letztwilligen Verfügung ein Sachverhaltskern dargelegt wird, der es erlaubt, durch Auslegung festzustellen, worauf sich die Pflichtteilsentziehung begründet. Der Erblasser muss für einen Dritten objektiv erkennbar und unverwechselbar die tatsächlichen Vorgänge beschreiben, auf die die Entziehung gestützt werden soll, ohne dass er dabei in die Einzelheiten zu gehen braucht.... Gemessen hieran kann in der Formulierung des Erblassers, der Kläger habe "seinen gesamten Erbteil bereits genommen", keine Nennung eines Pflichtteilsentziehungsgrundes gesehen werden. Die Formulierung ist so neutral gewählt, dass darunter kein schweres vorsätzliches Vergehen nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB subsumiert werden kann. Aus ihr geht nicht der Vorwurf eines kriminellen Unrechts gegenüber dem Kläger vor. Der Erblasser hat nicht etwa geschrieben, dass der Kläger seine Spareinlagen veruntreut, unterschlagen oder gestohlen habe, sodass mit der Erwähnung, der Kläger habe sich seinen gesamten Erbteil bereits genommen, keine konkrete Benennung eines strafbaren Verhaltens erfolgt ist.

Der Beklagte hat bislang weder den Auskunfts- noch den Wertermittlungsanspruch des Klägers erfüllt. Ein privatschriftliches Bestandsverzeichnis über den Nachlass hat er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht vorgelegt. Soweit er – in wenig übersichtlicher Form – im nach der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz Angaben zum Bestand des Nachlasses des Großvaters der Parteien macht, besteht schon deshalb keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, weil auch dadurch der Auskunftsanspruch des Klägers nicht erfüllt worden ist. Der Beklagte räumt selbst ein, dass Angaben zum Inventar der Gebäude des Erblassers fehlen. Fotos sind nicht geeignet, das nach § 260 BGB geschuldete Bestandsverzeichnis zu ersetzen.

Das vom Beklagten vorgelegte Verkehrswertgutachten ist unzureichend und genügt zur Erfüllung des Wertermittlungsanspruchs nicht. Das Wertermittlungsgutachten hat vor allem die Funktion, dem Pflichtteilsberechtigten ein umfassendes Bild des Nachlasses zu verschaffen, insbesondere um das Risiko eines Prozesses über den Pflichtteil abschätzen zu können. Die inhaltlichen Anforderungen orientieren sich an diesem Zweck... Legt der Sachverständige – wie hier – die Immobilienwertverordnung seiner Bewertung zugrunde, müssen die Befundtatsachen Angaben zu sämtlichen in der genannten Immobilienwertverordnung erheblichen Merkmalen enthalten. 

Es ist daher zu fordern, dass der Gutachter den Bewertungsgegenstand selbst in Augenschein nimmt und sich nicht auf Angaben des Erben verlässt. Das vom Beklagten vorgelegte Sachverständigengutachten ist lediglich aufgrund einer Außenbesichtigung erstellt worden. Demgemäß fehlen Angaben zur Grundrisskonzeption, zu den Bodenbelägen, zur Warmwasserversorgung und zur Sanitärinstallation. Schon dies reicht aus, um keine Erfüllung des Wertermittlungsanspruchs feststellen zu können. 

Der Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass eine Innenbesichtigung unmöglich gewesen wäre. Zwar hat sein Rechtsanwalt in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass es nicht möglich gewesen sei, die Zustimmung der neuen Eigentümerin des Grundstücks zu einer Innenbesichtigung zu erlangen. Ob und inwieweit der Beklagte sich überhaupt bemüht hat, dem Sachverständigen Zutritt zu der Immobilie zu verschaffen, wird von ihm, der das Objekt in Kenntnis des titulierten Wertermittlungsanspruchs des Klägers veräußert hat, nicht dargelegt.

Der Beklagte kann sich gegenüber den Auskunftsansprüchen des Klägers auch nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen ihm geschuldeter Auskunft und Herausgabe von Kontounterlagen berufen. Nach der inzwischen wohl überwiegenden Auffassung in der Literatur ist ein Zurückbehaltungsrecht durch die besondere Natur des Auskunftsanspruchs ausgeschlossen, selbst wenn der Gegenanspruch ebenfalls auf die Erteilung einer Auskunft gerichtet ist. 

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