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Zur Auslegung letztwilliger Verfügungen in dem Fall, dass zwei aufeinander folgende Testamente vorliegen und das spätere keinen ausdrücklichen Widerruf des früheren enthält.

|   Newsletter 04/2020

(Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 07.09.2020 – AZ: 5 W 30/20 –, juris)

Sachverhalt

Die Erblasserin ist am 03.11.2019 verstorben. Der Beteiligte zu 1) und Beschwerdeführer des Verfahrens war ein Freund von ihr. Der Beteiligte zu 2) und Beschwerdegegner des Verfahrens war ihr langjähriger Lebensgefährte, mit dem sie seit April 2006 bis einige Wochen vor ihrem Tod zusammen lebte.

Am 29.08.2011 errichtete die Erblasserin vor einem Notar in N. ein Testament. Darin setzte sie den Beteiligten zu 2) zu ihrem Alleinerben ein. In dem Testament hieß es u. a.:

"Zu meinem alleinigen Erben wird mein Lebensgefährte berufen, und zwar: S. B., geboren am… 1962.

Vermächtnisse sollen nicht angeordnet werden.

Weitere Verfügungen von Todes wegen sollen heute nicht getroffen werden."

Etwa acht Monate später verfasste die Erblasserin handschriftlich ein mit "Mein Testament" überschriebenes Schriftstück. Darin hieß es:

"Ich verfüge heute, dass meine Kröten… der oder diejenige Person bekommt die nach mir sieht bez. sich um mich kümmert. (Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht hinterlegt). Meine persönlichen Sachen (insbesondere meinen tollen Schmuck) im Schließfach Nr…. Bank1Saar derjenige auch.

Meine kostbaren Puppen der dieses Hobby liebt.

(Es folgen Zuwendungen von Lampe, Gläser, Tassen, Kochbücher, Ohrring, Kaffee- und Essservice, Modeschmuck an bestimmte Personen)

Mein Mann… hat sein ganzes Leben (ich mit) gespart und ich möchte nicht das was in verkehrte Hände gelangt..…"

Auf der Rückseite des Schriftstücks unterzeichnete die Erblasserin achtmal, jeweils mit jährlich aktualisierten Daten, zuletzt am 27.01.2019. Bevollmächtigter der im handschriftlichen Testament in Bezug genommenen Vorsorgevollmacht war zu jenem Zeitpunkt noch der Beteiligte zu 2). Unter dem 01.10.2019 unterzeichnete die Erblasserin eine neue Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Darin war der Beteiligte zu 1) als Vollmachtnehmer eingetragen.

Das Girokonto der Erblasserin wies am Todestag ein Guthaben in Höhe von rund 7.500,00 € auf.

Der Beteiligte zu 1) beantragte die Erteilung eines Erbscheins aufgrund des handschriftlichen Testaments vom 15.05.2012, wobei er geltend machte, durch die Zuwendung von Bargeld und Schmuck habe die Erblasserin ihn zum Alleinerben bestimmt. Er sei nämlich auch diejenige Person, die sich um die Erblasserin bis zu ihrem Tod im Sinne der Formulierung im ersten Satz des Testaments gekümmert habe. Der Nachlass, zu dessen genauer wertmäßiger Zusammensetzung er keine Angaben machen könne, bestehe im Wesentlichen aus dem Geldvermögen und dem Schmuck im Bankschließfach.

Der Beteiligte zu 2) widersprach und beantragte seinerseits die Erteilung eines Erbscheins, in dem er auf der Grundlage des notariellen Testaments vom 29.08.2011 als Alleinerbe ausgewiesen werden solle. Er trug vor, im privatschriftlichen Testament vom 15.05.2012 sei keine Erbeinsetzung, sondern es seien lediglich Vermächtnisse verfügt worden. Noch zum Zeitpunkt der letzten Unterschrift auf dem handschriftlichen Testament habe die Erblasserin mit ihm zusammen gelebt.

Das Amtsgericht-Nachlassgericht-Neunkirchen hat mit Beschluss vom 04.05.2020 die aufgrund des Antrags des Beteiligten zu 2) zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1). 

Entscheidungsgründe des Saarländischen Oberlandesgerichts 

Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht die Anordnungen der Erblasserin im handschriftlichen Testament vom 15.05.2012 nicht als Widerruf der letztwilligen Verfügung vom 29.08.2011 betrachtet. Denn das handschriftliche Testament hat an dem notariellen Testament vom 29.08.2011 nichts geändert.

Testamentarische Anordnungen können ihre Wirksamkeit durch Widerruf verlieren (§ 2253 BGB). Liegen zwei zeitlich aufeinander folgende Testamente vor und enthält das spätere – wie hier – keinen ausdrücklichen Widerruf des früheren (§ 2254 BGB), kann § 2258 BGB zum Tragen kommen. Nach dieser Vorschrift gelten frühere Anordnungen als widerrufen, soweit sie mit zeitlich danach getroffenen Anordnungen in Widerspruch stehen. Das gilt auch dann, wenn das erste Testament notariell und das zweite "nur" handschriftlich verfasst wurde. Auch bei inhaltlicher Vereinbarkeit mehrerer letztwilliger Verfügungen kann ein Widerspruch dann bestehen, wenn nach dem Willen des Erblassers die spätere Verfügung allein und ausschließlich gelten soll, weil der Erblasser mit ihr die Erbfolge abschließend regeln wollte. Bei der Klärung des maßgeblichen Erblasserwillens darf weder dem älteren noch dem jüngeren Testament von vornherein mehr Gewicht beigemessen werden. Die Testamente sind je für sich auszulegen und die so ermittelten Absichten des Erblassers zueinander in Beziehung zu setzen. Im Vordergrund steht der wirkliche Wille des Erblassers.

Aus diesen allgemeinen Überlegungen ergibt sich, dass die Anordnungen im handschriftlichen Testament vom 15.05.2012 denjenigen im notariellen Testament aus dem Jahr 2011 nicht widersprechen. Letzteres bestimmt die Erbfolge, während das handschriftliche Testament Vermächtnisse und Auflagen enthält. Die damit für den Erben verbundene Beschwerung lässt die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) im früheren Testament unberührt. Es besteht kein Anhalt für einen davon abweichenden Willen der Erblasserin. In dem späteren handschriftlichen Testament wurde nur die Zuordnung und der gewünschte Umgang mit einzelnen Gegenständen geregelt, nicht aber die Erbfolge. Eine Erbenbestimmung war aus der Sicht der Erblasserin auch nicht erforderlich, denn sie hatte eine solche im notariellen Testament bereits vorgenommen. Es kommt hinzu, dass in Fällen, in denen zwischen der Errichtung zweier sachlich vereinbarer Testamente nur ein kurzer Zeitraum verstrichen ist, der Schluss naheliegt, dass der Erblasser die Verfügungen nebeneinander gelten lassen wollte. Das gilt auch hier. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Erblasserin sich im Mai 2012 nicht mehr an die im August 2011 errichtete notarielle Urkunde erinnert hätte. Hätte sie weniger als neun Monate später von der Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) wieder Abstand nehmen wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass sie irgendeine Erklärung zu einer neuerlichen Erbfolgeregelung abgegeben hätte.

Die Annahme, dass die Erblasserin die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) aufrechterhalten wollte, wird auch dadurch gestützt, dass es ihr – wie die mit Kosten verbundene Errichtung eines notariellen, beim Amtsgericht hinterlegten Testaments zeigt – ersichtlich auf eine professionell und rechtssicher formulierte und bei Eintritt des Erbfalls verlässlich verfügbare Regelung jedenfalls der Erbfolge ankam. Mit dieser Intention wäre eine Aufhebung der Alleinerbeneinsetzung durch die handschriftliche Verfügung vom 15.05.2012 schwerlich vereinbar, weil darin gerade keine unmissverständliche Erbenbestimmung erfolgte. 

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