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Zur Frage der Haftung der Erben des Verstorbenen gegenüber dem Lokführer bei Suizid auf Bahngleisen

|   Erbrecht

(OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.06.2020 – AZ: 16 U 265/19 –, juris -)

Leitsatz

Begeht eine Person auf Bahngleisen einen Suizid, haften ihre Erben dem involvierten Lokführer nicht auf Schadenersatz, wenn der Verstorbene zum Zeitpunkt des Suizids und damit der Schadenszufügung nicht schuldhaft gehandelt hat.

Sachverhalt

Die Klägerin (Deutsche Bahn AG) macht aus übergegangenem Recht ihres Bediensteten, eines Lokführers, gegen die Beklagten als Erben ihres verstorbenen Sohnes Schadensersatzansprüche nach einem Bahnunglück geltend.

Das Landgericht Frankfurt hat nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Das Gutachten war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Verstorbene Suizid begangen habe, wobei er sich in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe. Nach § 827 Satz 1 BGB ist für den Schaden nicht verantwortlich, wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der Klägerin. Sie hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe des OLG Frankfurt

Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Beklagten als Erben des Verstorbenen nicht der Klägerin aus übergegangenem Recht für den geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden des Lokführers haften. Das Landgericht ist in nicht zu beanstandender Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der Verstorbene im Zeitpunkt der Schadenszufügung nicht schuldhaft gehandelt hat. Die Feststellungen des Sachverständigen liefern eine hinreichende tatsächliche Grundlage für die Annahme des Landgerichts, dass der Verstorbene den streitgegenständlichen Schaden in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit zufügte und damit für den Schaden gemäß § 827 Satz 1 BGB nicht verantwortlich war.

Die Rüge der Berufung, die Ausführungen des Sachverständigen würden auf Vermutungen und allgemeinen Erwägungen, die nicht sachverhaltsbezogen seien, beruhen, geht fehl. Vielmehr stützt der Sachverständige seine Einschätzung, dass hinsichtlich der nach Aktenlage möglichen Ablaufanalyse sicher von einem Suizid auszugehen sei, auf die der Krankenakte entnommenen Informationen zur Vorgeschichte und suizidalen Problematik des Verstorbenen. Aufgrund seiner klinischen Erfahrung und der wissenschaftlichen Grundlinie, die es hierzu gibt, erachtet der Sachverständige diese Umstände als typisch, um aus der Position des Adoleszenten zu einer Überforderungssituation zu führen und existenziell grundsätzlichen Charakter zu gewinnen, sodass hier der Verstorbene aus der als unerträglich empfundenen Krisensituation schließlich kein Entrinnen mehr gesehen habe. Darüber hinaus hat das Landgericht weitere Umstände aufgezeigt, die für die Annahme eines planvollen Suizids sprechen (wird ausgeführt).

Der Sachverständige hat auch erläutert, dass hier bei dem Verstorbenen das Maß der gedanklichen Einengung und Fixierung auf die Selbsttötung als alternativlos und einzig gangbarer Weg in einer als unerträglich empfundenen Krisensituation unter Ausblendung aller entgegenstehenden Erwägungen und der Beobachtungsfähigkeit, als Ausdruck einer krankheitswertigen krisenhaften Zuspitzung zu bewerten sei, in der der Verstorbene nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine Gedanken auf die Auswirkungen seines Tuns, insbesondere für den Lokführer zu richten und seine Entscheidung zu verändern.

Damit lässt sich eine Schuldfähigkeit des Verstorbenen auch nicht damit begründen, dass dieser bei Planung seiner Suizidhandlung bewusst und akribisch vorging, wie die Berufung meint. Dem Landgericht ist auch darin zu folgen, dass der Verstorbene beim Betreten der Gleisanlage von dem Gedanken an einen Suizid getragen war. Wie das Landgericht sachverständig beraten überzeugend festgestellt hat, war der pathologische Prozess bei dem Verstorbenen zu diesem Zeitpunkt bereits so weit fortgeschritten, dass er nicht mehr umkehrbar und der Verstorbene nicht mehr in der Lage war, seine Entscheidung von rationalen Überlegungen abhängig zu machen, wie es Voraussetzung für eine freie Willensbildung wäre.

Entgegen der Ansicht der Berufung ist vorliegend auch nicht eine Ersatzpflicht der Beklagten aus Billigkeitsgründen gemäß § 829 BGB zu bejahen. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, der in einem Fall des § 827 BGB für einen von ihm verursachten Schaden nicht verantwortlich ist, gleichwohl den Schaden insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, eine Schadloshaltung erfordert. Die Berufung begründet dies mit einer wirtschaftlichen Besserstellung des Verstorbenen gegenüber dem Lokführer, die deshalb bestehe, weil der Verstorbene und somit auch die Beklagten als seine Erben einen Freistellungsanspruch gegenüber Schadensersatzansprüchen Dritter gegenüber einer Haftpflichtversicherung hätten.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung führt jedoch das Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung nicht zu einer Ersatzpflicht i. S. v. § 829 BGB. Denn das Risiko, dass der Versicherungsnehmer oder der Versicherte einen Schaden herbeiführt, für den er rechtlich nicht verantwortlich ist, ist grundsätzlich nicht versichert. Besteht aber kein Versicherungsschutz, kann dieser auch keinen in den Vergleich der Vermögenslagen einzubeziehenden Vermögenswert des Schädigers darstellen. Jedenfalls erfordert es die Billigkeit nach Ansicht des BGH nicht, dem Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung für die Frage des "Ob" der Haftung eine maßgebliche Bedeutung zukommen zu lassen. Daher ist das Bestehen der freiwilligen Haftpflichtversicherung nicht in das Vermögen des Verstorbenen bzw. hier der Beklagten als dessen Erben einzubeziehen.

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