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Zur Verjährung von Pflichtteilsansprüchen

|   Erbrecht

(OLG Hamm, Urteil vom 02.03.2023 – AZ: 10 U108/2 – ErbR 2023, 876 - 879-)

Leitsatz

Die erforderliche Kenntnis von einer beeinträchtigenden Verfügung kann fehlen, wenn der Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam und entfalte daher für ihn keine beeinträchtigende Wirkung. Das gilt jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind.

Sachverhalt

Der Kläger ist das einzige Kind des im Jahre 2015 in Spanien verstorbenen Erblassers aus dessen geschiedener erster Ehe. Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger und hielt sich nach Beendigung seiner Berufstätigkeit als Inhaber einer internistischen Praxis zeitweilig in Spanien auf. Er war in zweiter Ehe mit der Beklagten verheiratet. Aus dieser Ehe sind keine Kinder hervorgegangen.

Im Februar 2009 errichtete der Erblasser in Spanien vor einem dortigen Notar in spanischer Sprache ein Testament, durch das er frühere Testamente ausdrücklich widerrief und die Beklagte zu seiner Alleinerbin einsetzte. Zuvor hatte er in den Jahren 2003 und 2007 ebenfalls in Spanien abweichende notarielle Testamente beurkunden lassen, in denen er den Kläger als Alleinerben eingesetzt hatte.

Ab dem Jahre 2009 wurde der Erblasser in einer neurologischen Klinik behandelt, im Jahre 2011 in einer anderen Klinik wegen verschiedener Knochenbrüche.

Der Kläger stellte im Juni 2016 beim Nachlassgericht einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweisen sollte. Den Antrag stützte er auf das notarielle Testament von 2003 und trug vor, der Erblasser sei wegen einer fortschreitenden Demenzerkrankung seit dem Jahre 2006 nicht mehr testierfähig gewesen. Dafür spreche, dass der Erblasser seinen Hauptwohnsitz von Spanien nach W. verlegt habe, ab dem Jahre 2007 Telefonanrufe nicht mehr selbst angenommen habe und Besuche durch die Ehefrau des Erblassers abgeblockt worden seien.

Im September 2017 beantragte die Beklagte ebenfalls die Erteilung eines Erbscheins mit der Begründung, sie sei aufgrund des Testaments vom Februar 2009 Alleinerbin des Erblassers geworden.

Mit Beschluss vom Oktober 2017 erachtete das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrags der Beklagten erforderlichen Tatsachen für festgestellt und führte aus, die vom Kläger geschilderten Tatsachen seien nicht geeignet, Testierunfähigkeit des Erblassers zu begründen.

Im Rahmen der hiergegen vom Kläger eingelegten Beschwerde holte das Oberlandesgericht Hamm ein schriftliches Sachverständigengutachten zur Frage der Testierfähigkeit des Erblassers ein, das im Ergebnis die behauptete Testierunfähigkeit des Erblassers für Februar 2009 nicht bestätigte. Daraufhin nahm der Kläger seine Beschwerde zurück und forderte die Beklagte auf, Auskunft über den Bestand des Nachlasses seines Vaters zu erteilen und den sich daraus ergebenden Pflichtteil zu zahlen. Mit der am 28.12.2019 zugestellten Stufenklage hat er sodann seine Pflichtteilsansprüche gegen die Beklagte gerichtlich geltend gemacht.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der vom Kläger geltend gemachte Anspruch sei verjährt. Die Verjährungsfrist habe mit dem Ende des Jahres 2015 zu laufen begonnen, weil der Kläger in diesem Jahr auch von den seinen Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt habe, nämlich vom Eintritt des Erbfalls und von dem ihn enterbenden notariellen Testament zugunsten der Beklagten vom Februar 2009. Diese Kenntnis sei nicht infolge eines Tatsachen- oder Rechtsirrtums des Klägers zu verneinen. Es liege auch kein Irrtum über eine die Testierfähigkeit des Erblassers hindernde Demenzerkrankung vor. Darüber habe der Kläger allenfalls Mutmaßungen anstellen können. Seine Klage habe er erst nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist erhoben.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der in Abrede stellt, dass er bereits im Jahre 2015 Kenntnis vom Bestehen seines Pflichtteilsanspruchs erlangt habe. Aufgrund der schweren Demenz des Vaters habe er davon ausgehen dürfen, dass das letzte Testament des Vaters mangels Testierfähigkeit unwirksam gewesen sei. Frühere Testamente, in denen er zum Alleinerben berufen gewesen sei, seien deshalb nicht wirksam widerrufen worden. Erst mit Zugang des im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens vom Juli 2019 habe er Kenntnis davon erlangen können, dass eine fehlende Testierfähigkeit nicht sicher festzustellen gewesen sei. Danach hätte die dreijährige Verjährungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 2019 zu laufen begonnen. Die von ihm erhobene Stufenklage habe daher den Lauf der Verjährung rechtzeitig gehemmt.

Entscheidungsgründe des OLG Hamm

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung zur weiteren Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits an das Landgericht.

Die vom Kläger erhobene Stufenklage ist auf der Auskunftsstufe begründet.

Auf die vom Kläger geltend gemachten Pflichtteilsansprüche ist deutsches Erbrecht anwendbar (wird ausgeführt).

Die Voraussetzungen für den Pflichtteilsanspruch des Klägers liegen vor. Der Anspruch ergibt sich aus § 2314 BGB. Unstreitig ist der Kläger als Abkömmling des Erblassers pflichtteilsberechtigt.

Die Beklagte ist durch das notarielle Testament vom Februar 2009, dessen Wirksamkeit zwischen den Parteien jetzt nicht mehr in Streit steht, zur Alleinerbin bestimmt worden. Das Testament ist auch formwirksam.

Der Pflichtteilsanspruch des Klägers ist nicht verjährt. Die Verjährungsfrist für den Anspruch beträgt drei Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Umständen, die den Anspruch begründen, und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Das gilt auch für den Auskunftsanspruch.

Vorliegend hat der Kläger vom Tod des Erblassers und dessen letztwilliger Verfügung vom Februar 2009, durch die er enterbt worden ist, bereits im Jahre 2015 Kenntnis erhalten (wird ausgeführt).

Gleichwohl ist die dreijährige Verjährungsfrist nicht bereits mit dem 31.12.2018 abgelaufen. Vielmehr konnte der Ablauf der Frist durch die am 07.11.2019 anhängig gewordene und am 28.12.2019 zugestellte Klage noch gehemmt werden. Denn der Kläger hat erst mit der Übersendung des Sachverständigengutachtens in dem von ihm beantragten Erbscheinverfahren am 21.08.2019 Kenntnis von der Wirksamkeit des Testaments erlangt.

Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung setzt voraus dass der Pflichtteilsberechtigte den wesentlichen Inhalt der beeinträchtigenden Verfügung erkannt hat. Die erforderliche Kenntnis kann fehlen, wenn der Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam und entfalte daher für ihn keine beeinträchtigende Wirkung. Das gilt jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind (BGH, Urteil vom 25.01.1995 – IV ZR 134/94).

Im vorliegenden Fall bestanden derartige Bedenken gegen die Wirksamkeit des Testaments, die nicht von vornherein von der Hand zu weisen waren.

Der Kläger hatte im Erbscheinsverfahren vorgetragen, er gehe von einer die Testierfähigkeit des Erblassers ausschließenden Demenz aus, weil er seit dem Jahre 2007 Veränderungen wahrgenommen habe und ihm deutliche Anzeichen für eine demenzielle Verwirrtheit im Jahre 2011 aufgefallen seien. Dass der Kläger mangels eines näheren Kontakts zum Erblasser in der Zeit zwischen 2007 und 2010 keine detaillierteren Tatsachen zum Zustand des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Jahre 2009 benennen konnte, ist unerheblich. Immerhin hat der Sachvortrag des Klägers im Erbschein-Beschwerdeverfahren den 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm zur Einholung eines Sachverständigengutachtens bewogen.

Dort hatte der Senat mit einer Verfügung des Berichterstatters vom Februar 2018 bereits darauf hingewiesen, dass der Vortrag des Klägers zur Frage der Testierfähigkeit des Erblassers als noch ausreichend erscheine, um diese Frage von Amts wegen weiter aufzuklären. Sodann hatte der Berichterstatter mit Verfügung vom Januar 2019 darauf hingewiesen, dass sich aus den zwischenzeitlich beigezogenen Behandlungsunterlagen des Hausarztes des Erblassers erhebliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende kognitive Beeinträchtigung des Erblassers bereits im Jahre 2009 ergaben, weshalb die Einholung eines gerontopsychiatrischen Sachverständigengutachtens in Erwägung gezogen werde. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung durch den gerichtlich beauftragten Sachverständigen waren die vom Kläger vorgetragenen Bedenken gegen die Wirksamkeit des Testaments auch durchaus berechtigt (wird näher ausgeführt).

Zwar habe der Sachverständige in seinem Gutachten nicht mit der nötigen Sicherheit für den hier maßgeblichen Zeitraum Februar 2009 eine Testierunfähigkeit des Erblassers festgestellt. Er konnte nicht feststellen, wie sehr die kognitive Verfassung des Erblassers zu diesem Zeitpunkt eingeschränkt gewesen ist. Damit hat der Sachverständige eine Testierunfähigkeit des Erblassers jedoch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen.

Für Fragen auf dem Gebiet des Erbrechts steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Justizrat Dr. Manfred Birkenheier, Fachanwalt für Erbrecht, gerne zur Verfügung.

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